Der Ursprung von digitalem User Experience Design – Eine Zeitreise

Veröffentlicht am 02. October 2020

Noah Friedrich

Sie umfasst die gesamte Bandbreite an Interaktion der Endbenutzer mit einem Unternehmen samt den bereitgestellten Services und Produkten – dies ist die gängige Definition eines noch recht jungen Begriffs, welchen wir heute unter User Experience kennen. Doch trotz seiner Jugendlichkeit sind Ansätze der ihm zugrunde liegenden Prinzipien auch außerhalb der digitalen Welt zu finden und bis ins antike Griechenland zurückzuverfolgen. Hier zeugen verschiedene Überlieferungen (u.a. Hippokrates) bereits von ersten Deutungen und Erkenntnissen hinsichtlich der wissenschaftlichen Disziplin, die wir heutzutage als Ergonomie kennen, welche in ihrer Aussage der UX recht nahe- kommt, indem sie die wechselseitige Anpassung sowie Interaktion zwischen dem Menschen und anderen Elementen eines Systems (z.B. Arbeitsplatz und Werkzeuge) beschreibt.

Die Wichtigkeit menschlichen Inputs

In eine ähnliche Richtung ging Anfang des 20. Jahrhunderts der Namensgeber des Taylorismus, Frederick Winslow Taylor. Er führte umfangreiche Untersuchungen zur Interaktion zwischen Arbeitern und ihren Werkzeugen durch, um effizientere Arbeitsplätze zu schaffen. Die Forschungsergebnisse, die er 1911 in seinem Buch „The Principles of Scientific Management“ veröffentlichte, brachten wichtige Erkenntnisse zutage, die auch heute noch in der UX Verwendung finden – wenngleich die durch Taylor propagierte Sichtweise auf den Menschen, der schlicht als ein Teil der Maschine behandelt wird, schon damals zu Recht kritisiert wurde und heute als Inbegriff der inhumanen Arbeitsgestaltung gilt.

Der gegensätzliche Ansatz hierzu kam interessanterweise aus der Automobilindustrie und wurde in den 40er- Jahren von Toyota entwickelt. Das sogenannte Toyota Produktionssystem gab dem Produktionsfaktor Mensch einen neuen, höheren Stellenwert. So ging es nicht nur um die optimale Gestaltung des Arbeitsumfelds, sondern – wenn man so will – um die Emanzipation der Arbeiter: Jeder soll geachtet werden und mündig sein. Die eigentlich inhärente Monotonie des Fließbands wurde durch das Anbringen von läutbaren Schnüren durchbrochen, die den Arbeitern ermöglichten, die Produktion kurzfristig zu stoppen, wenn sie Ideen oder Feedback zur Verbesserung des Prozesses hatten. Der menschliche Input war somit nicht mehr nur Notwendigkeit, sondern galt von nun an als der entscheidende Faktor einer Produktion und wurde aktiv gefördert.

Mitte der 50er tauchte dann eine weitere Schlüsselfigur der UX-Design-Geschichte auf: der amerikanische Wirtschaftsingenieur und Produktdesigner Henry Dreyfuss. Er war quasi ein UX Researcher, bevor es den Begriff „User Experience“ überhaupt gab. So holte Dreyfuss Feedback direkt bei den Nutzern ein und testete Produkte bei Feldversuchen. Für ihn stand die gesamtheitliche Interaktion zwischen Mensch und Maschine im Vordergrund, welche er in seinem vielsagenden Buch „Designing for People“ wie folgt auf den Punkt brachte:

“When the point of contact between the product and the people becomes a point of friction, then the [designer] has failed. On the other hand, if people are made safer, more comfortable, more eager to purchase, more efficient—or just plain happier—by contact with the product, then the designer has succeeded.“ Henry Dreyfuss

Start der PC-Ära und die Revolution des Internet

In den 70er Jahren wurde durch die Workstation Xerox Alto die Ära der Personal Computer eingeleitet. Der aus dem kalifornischen Forschungszentrum Palo Alto Research Center (PARC) von Ingenieuren und Psychologen entwickelte Rechner bediente die Schnittstellen Wahrnehmung und Handhabung durch die erstmalige Steuerung mit einer Computermaus sowie einer grafischen Benutzeroberfläche (GUI).

Im Laufe der 80er Jahre wurde dann der Grundstein für die PC-Industrie gelegt, wie wir sie heute kennen. Zunächst etablierte IBM mit dem 5150 neue Standards wie das Installieren unterschiedlicher Programme, dem Tausch von Hardware-Komponenten, Business Computing und dem Anschließen von Druckern. Der ein Jahr später (1982) folgende Commodore 64 machte den PC dann sogleich massentauglich und steht mit geschätzt über 17 Millionen verkauften Einheiten bis heute noch im Guiness Buch der Rekorde als meistverkaufter Einzel-Computer.

1984 war es dann Apple-Gründer Steve Jobs, der in der Xerox Technologie Inspiration fand. Als Antwort auf IBMs Übermacht, wurde der erste PC mit grafischer Benutzerschnittstelle und Mausbetrieb für den Massenmarkt hergestellt. Anstatt mit Tastaturkommandos eroberte mit dem Macintosh die viel intuitivere und einfachere Nutzung der Maus den Markt und etablierte den PC als interaktives System, bei dem der Benutzer durch seine Bedienung den Arbeitsablauf des Systems beeinflussen kann.

Hierbei sei aber bereits gesagt, dass ein Computer natürlich nicht die Hauptkomponente eines interaktiven Systems und dem wechselseitigen Dialogbetrieb (interactive Processing) zwischen Mensch und Maschine sein muss. Auch bei einem Auto folgt auf die Bedienhandlung des Fahrers (Pedale, Lenkrad etc.) eine Änderung des Zustands. Wenngleich man jedoch durch die analoge Handhabung eher schlicht von einer Mensch-Maschine-Interaktion reden sollte, deren Komponenten immer weiter mit unserer digitalen Welt verschmelzen. Und gerade für diesen gelungenen Übergang von der analogen zur digitalen Welt spielt das UX-Design eine essenzielle Rolle.

Das World Wide Web und der erste UX Architect

Als 1989 der britische Wissenschaftler Tim Berners-Lee das im Europäischen Kernforschungszentrum (CERN) vorherrschende Informationschaos beseitigen wollte, wusste noch niemand, wie sehr seine Idee des World Wide Web (WWW) unser aller Leben verändern würde. Zunächst nur als internes Netzwerk für den Austausch für Informationen über lange Distanzen gedacht, legte Lee den Grundstein für HTML, HTTP sowie URI, was wir heute zumeist als URL bezeichnen.

Das auf den ersten entwickelten Seiten sowohl design- als auch programmiertechnisch noch recht wenig los war, änderte sich schlagartig als 1993 das WWW für die Öffentlichkeit zugängig wurde. Die Seiten wurden bunter, bildhafter und komplexer. Plötzlich war da diese neue Schnittstelle zwischen Mensch und System, die man zum Einkaufen, Kommunizieren, Arbeiten und zur Unterhaltung nutzen konnte: Der Startpunkt des digitalen Wandels.

Im gleichen Jahr wurde ein Begriff, welcher Donald Norman in seinem Buch The Design of Everyday Things erstmals verwendete, wieder aufgegriffen und schlussendlich zur Berufsbezeichnung: die User Experience. Als Norman bei Apple anheuerte, waren er und sein Team unzufrieden mit den etablierten Begriffen wie Human Interface und Usability, welche seiner Meinung nach nicht die gesamtheitliche Erfahrung der Nutzer abdeckten. Für ihn stellte UX jeglichen Berührungspunkt zwischen Nutzern mit einem Produkt oder Service dar – Apple stimmte zu und aus Donald Norman wurde der erste User Experience Architect.

Neue digitale Welt

Von hier an nahm der digitale Wandel Fahrt auf und die Gestaltungsmöglichkeiten wurden nahezu endlos. Die Wichtigkeit der Lesbarkeit, Navigation sowie der Farb- und Formsprache wurde immer essenzieller und auch notwendig, wenn man mit den technischen Entwicklungen mithalten wollte. Diese folgten nämlich so rasant aufeinander, dass viele Produkte auf den Markt kamen, die im gleichen Moment schon wieder als überholt galten. Waren früher noch Maus und Tastatur das Maß aller Dinge, konnten plötzlich Computer in Taschengröße mit Finger und Körpergesten gesteuert werden.

Die Bedürfnisse der Nutzer und die Ansprüche an die Produkte sowie Services wuchsen mit jedem Entwicklungsschritt weiter, sodass all die Erkenntnisse über das, was funktioniert und was nicht funktioniert, gebündelt und vereinheitlicht wurden. Während sich Gestaltungsstile entwickelten, die eher auf Nachahmung (Skeumorphismus) oder Minimalismus (Flat Design) aus waren, führte Google mit dem sogenannten Material Design eine klare visuelle Sprache ein, die für eine einheitliche UX auf allen Geräten sorgen soll: Geprägt von einfachen Formen, Symbolen und Hierarchien, welche die Nutzung und Übersichtlichkeit gewährleistet.

Dies zeigt auch, dass es heutzutage weniger um ständige Erneuerungen geht, sondern vor allem um Funktionalität und darum, dass die User Experience ein wesentliches Puzzlestück vom noch großflächiger angelegten Service Design ist. Während die Grenzen zwischen digitalen und physischen Produkten verschwimmen, werden Interaktive Designer mehr und mehr strategische Partner von Unternehmen, die bei der Problemerkennung, Prozessdefinierung sowie der Produktentwicklung eine gewichtige Rolle spielen. Der Service ist das Produkt und dieser digitale Service muss für die Nutzer eine verlässliche Erfahrung darstellen, die durch intuitive Nutzung besticht.

Der Mensch mit all seinen Wahrnehmungen, Bedürfnissen und Emotionen muss stets bei digitalen Prozessen im Spotlight stehen. Für einen User-Experience-Designer ist deshalb dieses über alle Touchpoints hinweg überzeugende Nutzererlebnis Aufgabe und Ziel, welches nur erreicht werden kann, wenn man seine Disziplin von Grund auf versteht – Auch im Hinblick auf seine Herkunft. So lernen wir von Vergangenem, arbeiten mit den uns gegebenen Methoden, versuchen diese permanent weiterzuentwickeln und halten unseren Blick zielgerichtet in die Zukunft einer digitalen Welt, die sich stetig wandelt, formt und wächst.

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