Design-Evolution – Der Wandel von User Centered Design zu Life Centered Design

Veröffentlicht am 12. May 2022

Stefanie Schwanke

Seit Jahrzehnten beherzigen Designer eine nutzerzentrierte Denkweise, welche die Bedürfnisse, Wünsche und Ziele der Nutzer:innen in den Fokus jeglicher Gestaltung rückt. Vor wenigen Jahren machte die Design- und Innovationsagentur Fjord jedoch auf einen Trend aufmerksam, der für sie eine neue Stufe in der Evolution des Designs darstellt: Eine Verschiebung des Fokus weg vom Einzelnen und hin zum großen Ganzen. Ein Wandel vom User Centered Design (UCD) zum sogenannten Life Centered Design (LCD), welches die Nutzer:innen sowie das Design an sich als Teil eines komplexen Ökosystems versteht. Aber was verbirgt sich hinter USC und LCD? Und welche Auswirkungen wird diese neue Denkweise auf zukünftiges Design haben?

For years, the use of user-centered and human-centered design has often separated people from ecosystems. Now, designers must address people as part of an ecosystem rather than at the center of everything. Fjord

UCD – Schnittstelle zwischen Nutzer und Unternehmen

Um die bestmögliche User Experience bei der Gestaltung digitaler Services und Produkte zu erreichen, ist es unabdingbar, dass sowohl die Berdürfnisse der Nutzer:innen als auch der gesamte Nutzungskontext bei der Entwicklung Berücksichtigung finden. Das Ziel des ganzheitlichen Ansatzes des User Centered Designs ist schließlich, den Nutzer:innen einen wahrhaften Mehrwert zu bieten, indem die absolute Gebrauchstauglichkeit gegeben ist und die Interaktion so intuitiv wie nur möglich vonstattengeht.

Die Erfüllung dieser Customer Values soll sicherstellen, dass das entsprechende Produkt/der entsprechende Service auch wirklich gerne genutzt wird und sich zusätzlich eine gewisse Marken- bzw. Produkttreue von Nutzerseite etabliert. Der nutzerzentrierte Fokus steht somit auch in enger Korrelation mit dem Business Value des jeweiligen Unternehmens, welches natürlich ebenfalls Ziele z. B. hinsichtlich des Marktes oder der Finanzen verfolgt, die durch die Nutzung des Services/Produktes erfüllt werden sollen.

Das digitale Nutzererlebnis bildet somit nicht nur die Schnittmenge aus Unternehmens- und Nutzerzielen, sondern fungiert im Umkehrschluss auch als Mittlerrolle zwischen beiden Parteien. Der gesamte Entwicklungsprozess eines digitalen Produktes/Services sollte daher an jeglichem Berührungspunkt durchdacht, hinterfragt und gegebenenfalls im Sinne der vier grundlegenden UX-Design-Bausteine iteriert werden. Diese UX Basics umfassen (1) das Verstehen des Nutzers und der Nutzergruppen, (2) das Explorieren von Lösungsansätzen, (3) das Entwerfen von Prototypen und (4) das Testen mit Nutzern, welches als Validierungsgrundlage dient und den wesentlichsten Aspekt des User Centered Designs darstellt.

 

LCD – Systeme und Werte weitergedacht

Wenn wir von Design Thinking sprechen, beinhaltet User Centered Design die drei Königsdisziplinen, die ein jedes interaktives Produkt/ein jede interaktive Anwendung erreichen möchte: Desirability (Begehrlichkeit), Feasability (Umsetzbarkeit) und Viability (Lebensfähigkeit). Diese Kernfaktoren spielen auch beim Life Centered Design eine Rolle, jedoch werden sie in einem anderen bzw. tiefgreifenderen Kontext verstanden. Dies entspringt vor allem unserem aktuellen Zeitgeist und den Themen, die hierdurch mehr und mehr in den Fokus rücken. So wurden Nachhaltigkeit, ökologisches Bewusstsein, Diversität und Gleichstellung noch nie so stark gesellschaftsübergreifend diskutiert wie heutzutage, was nicht zuletzt durch aufkommende Bewegungen wie Fridays for Future, Black Lifes Matter und #MeToo in der jüngeren Vergangenheit ersichtlich wurde.

Menschen und somit natürlich auch Nutzer:innen verstehen sich als auch die Produkte/Services, die ihnen angeboten werden, als Teil des großen Ganzen. Beim Thema Begehrlichkeit folgen Nutzer:innen so immer seltener den akuten Impulsen, sondern stellen die Frage nach dem Warum: Warum sollte ich dieses Produkt kaufen? Nutzen bzw. Mehrwert wird dadurch heutzutage viel deutlicher hinterfragt und in einem umfassenderen Kontext betrachtet. Es geht nicht mehr nur um ein rein subjektives Empfinden, sondern um die Sache – ein gemeinsames Anliegen bzw. eine gemeinsame Idee, die sich im Produkt wiederfindet.

Das Thema der Umsetzbarkeit wird gleichwohl mehr in einem ökologischen Kontext gesehen.  Durch den rasanten technologischen Fortschritt wird ein Produktlebenszyklus sowieso immer kürzer. Was passiert also mit meinem Produkt, wenn es veraltet? Muss es überhaupt veralten? Jedoch geht es hier nicht mehr nur um physische Produkte, die im Sinne der Nachhaltigkeit und des ressourcenschonenden Umgangs mit sämtlichen Materialien in Verbindung gebracht werden. Vielmehr steht nun auch der gesamte Lebenszyklus und die daraus resultierenden sozialen und ökologischen Effekte im Fokus der Debatte.

Die Lebensfähigkeit eines digitalen Services bedeutet in einem nachhaltigen Kontext jedoch nicht, dass der Service einfach nur an sich funktioniert, sondern dass er im Einklang mit Business Values und Markenziele überleben kann und darüber hinaus einen tieferen Nutzen erfüllt. Also einen Sinn und damit einen wahrhaftigen Mehrwert bietet. Durch das Neu-Denken der drei im Design verankerten Kernbegriffe Begehrlichkeit, Umsetzbarkeit und Lebensfähigkeit lassen sich daher folgende Prinzipien ableiten:

  • Bei der Gestaltung und Entwicklung von Produkten müssen der komplette Lebenszyklus und die umgebenden (Öko-)Systeme mit in Betracht gezogen werden
  • Erweiterung des Customer Values um „Collective Values“ ­– dies impliziert „Purpose“ (Sinnhaftigkeit) statt Profit und die Erweiterung der bekannten Definition um Sinnstiftung und Mehrwert
  • Die steigende Komplexität und der zunehmende Abstraktionsgrad aktueller Systeme und Services erfordern neue Herangehensweisen und ein erweitertes Anforderungsmanagement, um den zusätzlichen Anforderungen gerecht zu werden

UX – Lösen von Komplexität durch einen holistischen Blick

Der Disziplin Design wird in Zukunft als Ganzes weit mehr Tragweite zuteil als bislang absehbar. Dies bedeutet, dass sich hieraus sowohl neue Verantwortlichkeiten, aber auch neue Möglichkeiten ableiten lassen, die es Designern erlauben, einen positiven Beitrag bei den Themen Nachhaltigkeit sowie ökologischem und sozialem Bewusstsein zu leisten. Insbesondere User Experience und Design Thinking bieten hierbei eine Vielzahl an Methoden, um die aufgestellten Prinzipien zu stützen.

Zum Beispiel kann durch die Schaffung eines gemeinsamen Verständnisses des zu entwickelnden Systems/Services zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer sowie durch Exploration das Anforderungsmanagement viel genauer definiert und durchdrungen werden. Zusätzlich können die in der UX vorhandenen Möglichkeiten des Research erweitert werden und neben Customer Values auch Collective Values mit in die Überlegungen aufnehmen. Für die Designer von heute und morgen bedeutet dies natürlich einen Wandel. Jedoch ist das (auf-)lösen komplexer Fragestellungen bereits jetzt schon die Hauptaufgabe des Designers und die erlernten Methoden sowie Skills erlauben dieses (Auf-)Lösen auch dann, wenn zusätzlich aufkommende Kontexte wie umgebende Systeme die Berührungspunkte erweitern. Die Evolution des Designs betrifft somit die Wahrung eines holistischen Ansatzes und das Anerkennen, dass solch ein Ansatz geprägt durch neue Erkenntnisgewinne und den aktuellen Zeitgeist auch immer wieder neu hinterfragt und gedacht werden muss.

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Quellen:

https://www.usability.de/leistungen/ux-design.html
https://blogs.sap.com/2022/01/10/sustainable-innovation-with-life-centred-design/
https://financialservicesblog.accenture.com/fjord-2020-trends-life-centered-design-will-change-financial-services-offerings
https://www.accenture.com/de-de/insights/interactive/fjord-trends-2022?c=acn_glb_fjordtrends2022google_12791725&n=psgs_0122&gclid=CjwKCAjwjZmTBhB4EiwAynRmD46JsKK3VoKdAtSEBt6n3EuArqU533bVeb6sBuZSVTcwuax7Xtj62BoC6oUQAvD_BwE
https://www.youtube.com/watch?v=u5_D82otJpE

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