Digitale Ethik – Werte und Moral zwischen Mensch und Maschine

Veröffentlicht am 12. February 2021

Sarah Mager

Wir leben in unserer Gesellschaft nach Gesetzen, die auf ethischen Leitlinien basieren und unser Verhalten widerspiegeln sowie regeln sollen. Schwingt sich nun eine fortschrittliche Technologie zu neuen Höhen auf, verharrt diese zunächst in einer Art vogelfreiem Raum, in dem weder Richtlinien noch Gesetze eine Grundordnung stellen. So verhält es sich auch mit der Digitalisierung, die sowohl für Nutzer, Unternehmen als auch Regierungen eine Vielzahl neuer Herausforderungen sowie Möglichkeiten mit sich bringt und zuweilen wie ein weder rechtlich noch politisch greifbares Paralleluniversum wirkt.

Sei es Big Data, Künstliche Intelligenz oder intelligente Algorithmen - jede Weiterentwicklung im digitalen Zeitalter ist längst ein Teil in unser aller Alltag und sollte deshalb gesellschaftlich bewertet und in einen Kontext gesetzt werden. Dabei ist es in einer durch Digitalisierung geprägten Gesellschaft unabdingbar, dass eine ethisch vertretbare Balance zwischen Mensch und Maschine entsteht, die ein Maximum an Freiheit sowie gesellschaftlichem Nutzen bietet und gleichzeitig Einschränkungen hinsichtlich technischer, rechtlicher und sozialer Aspekte minimiert.

Das Leben im digitalen Alltag

Heutzutage sind wir es gewohnt, von vernetzten Devices, wie Machine to Customer (M2C) und Machine to Machine (M2M), umgeben zu sein. Wir arbeiten, lernen, shoppen und spielen im Internet. Wir nutzen alle möglichen digitalen Kommunikationskanäle, von Emails über Messenger-Dienste bis hin zu Social Media. Wir lassen uns von sprachgesteuerten Assistenten auf dem Weg zur Arbeit einen Witz erzählen, während unser Smart Home pünktlich wie ein Uhrwerk die Heizung abschaltet.

Das alles tun viele von uns, ohne uns großartig Gedanken darüber zu machen, inwieweit diese digitalen Hilfsmittel bereits unseren Alltag bestimmen und dazu geführt haben, dass wir ganz neue Gewohnheiten und Rituale adaptiert haben. Doch die ethischen Grundzüge, die normalerweise auf zwischenmenschlichen Beziehungen und traditionellen Wertevorstellungen beruhen, können nicht so einfach auf digitale Komponenten übertragen werden und rücken immer mehr in den Fokus. Vor allem beim Thema Cybersicherheit, Datenschutz und Privatsphäre folgt eine kontroverse Diskussion und leider auch ein vermeintlicher Skandal dem anderen.

Gleichzeitig gewinnen die ethischen Wertevorstellungen von Organisationen und Unternehmen immer weiter an Bedeutung und fließen in unsere Entscheidungsfindung ein - ob wir uns mit ihnen identifizieren können, für sie arbeiten oder Produkte & Services von ihnen beziehen wollen. Und auch im virtuellen Raum sehnen sich die Menschen nach Grundregeln und Transparenz hinsichtlich des gemeinsamen Miteinanders. Somit ist es wenig verwunderlich, dass die digitale Ethik eine immer größere Rolle spielt, wenn es um das Erkennen und Fordern von Werten und Richtlinien im digitalen Alltag geht.

Augenscheinliche Vorteile und undurchschaubare Skepsis

Die Vorteile der Digitalisierung werden natürlich vor allem in der aktuellen Zeit für viele Menschen augenscheinlich, da es noch vor ein paar Jahrzehnten nahezu undenkbar schien, dass ganze Wirtschaftsbereiche in einer andauernden Home Office-Situation überleben und teils sogar prosperieren könnten. Remote Arbeit und Videokonferenzen sind für viele nun zu einer Norm geworden, die nur Dank der fortgeschrittenen und erschwinglichen Technologie möglich ist.

Zudem wird der Nutzen von KI und Algorithmen verstärkt wahrgenommen, wobei auch bisherige Versäumnisse in Sachen Infrastruktur und Digitalisierung aufgedeckt werden. Vor allem der Datentransfer und die Geschwindigkeit, in der Daten verarbeitet und analysiert werden können, verhelfen dem Menschen dazu, bessere Entscheidungen zu treffen sowie durch Mustererkennungen und Prognosen rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen, um neu auftretende Probleme schneller und effizienter zu lösen.

Nichtsdestotrotz herrscht hierzulande immer noch Unwissenheit und Misstrauen, wenn es um neue Technologien geht. So sprachen sich 2018 in einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage zwei Drittel für ein Verbot für das Treffen vollautomatisierter Entscheidungen aus, obwohl 95% der Befragten den dazugehörigen Begriff ‚Algorithmus‘ nicht korrekt bzw. gar nicht erklären konnten. Die Menschen misstrauen schlicht Dingen, die sie nicht kennen oder verstehen, und beim Thema automatisiertes Arbeiten gesellt sich zu diesem mangelnden Vertrauen auch noch die Angst, dass man noch dazu in Zukunft am Arbeitsplatz von einer Maschine ersetzt werden könnte.

Solch einer Skepsis kann nur durch Aufklärung entgegengesteuert werden, um das gleiche Vertrauen zu schaffen, welches wir alle auch in unsere Gesetze und unsere Regierung legen. Die Problematik: Selbst hier liegt ein schmaler Grat zwischen Freiheit, Grundrechten und staatlicher Überwachung. Bei Schlagworten wie Vorratsdatenspeicherung, Staatstrojanern oder beim Speichern und Einsehen privater Flug- oder Mobilfunkdaten wird recht schnell klar, dass Fragen zur digitalen Ethik nicht nur die privaten vier Wände und die Unternehmensebene betreffen, sondern auf die Stützpfeiler unserer Gesellschaft angewendet werden müssen:

  • Wann werden Daten erfasst, weiterverwendet oder gar verkauft?
  • Wie wird mit Datenmengen umgegangen, die persönliche Informationen beinhalten?
  • Wann wird der Nutzer transparent informiert und um seine Einwilligung gebeten?
  • Wie und in welchem Umfang werden KI und Algorithmen eingesetzt? Wer prüft und kontrolliert diese?
  • Welche Auswirkung hat die Digitalisierung auf Politik, Gesetzgebung und Gesellschaft?
  • Wie können Nutzer dazu befähigt werden, zukünftig ihre Mitsprache und ihren Einfluss verstehen zu lernen und beginnen die Zukunft mitzugestalten?

Die Frage nach der Sicherheit

Es gilt zunächst einmal zu verstehen, dass Technologien an sich neutral sind. Wenn man nun also die Digitalisierung als ein Werkzeug sieht, muss im Sinne der digitalen Ethik danach gefragt werden, wann und in welchen Bereichen dieses Werkzeug zum Einsatz kommt. Dafür benötigt es klar definierte und vorausschauende Regulierungen. Jedoch nicht, weil andernfalls plötzlich Maschinen die Weltherrschaft an sich reißen, sondern weil der Mensch es selbst in der Hand hat, ob die Technologie für etwas gutes - oder aber böswilliges eingesetzt wird.

Wenn jemand die Türe hinter einem verschließt, bedeutet dies in unserer Gesellschaft, dass jemand gegen den eigenen Willen festgehalten wird und somit gegen das Grundgesetz verstößt. Ein Grundgesetz, welches so im Digitalen nicht existiert. Hier hat sich jedoch die Sicherheit und Ethik aus der Thematik des Nutzerfeedbacks heraus entwickelt, indem nach und nach verstanden wurde, dass Interaktionen ‚fair‘ und ‚demokratisch‘ in ihrem grundlegenden Handeln aufgebaut sein müssen.

Sicherheit erfordert schließlich Werte und Regeln - deshalb benötigen auch digitale Technologien ein inhärentes Verständnis eines demokratischen Ansatzes sowie einen Verwaltungsapparat, der über die Einhaltung von Freiheit und Privatsphäre, Solidarität und Gerechtigkeit sowie Richtlinien und Grundsätzen wacht. Diese Nutzungsrichtlinien müssen daher die zentralen Grundzüge der Grundrechte widerspiegeln und seitens des Gesetzgebers vorgegeben werden.

Demzufolge fordert die digitale Ethik Gesetze, die sich an dem Grundrecht der Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität orientieren. Der Mensch ist und bleibt hierbei die Institution, die über ethische Entscheidungen richten kann, um Unsicherheiten, Missbrauch und Manipulation einen Riegel vorzuschieben und notwendige Verantwortlichkeiten zu klären. Die Digitalisierung ist nämlich kein abstraktes Konstrukt, welches uns aus heiterem Himmel in den Schoß gefallen ist - Sie ist eine vom Menschen gemachte Technologie und somit tragen auch wir die Verantwortung für die ihr zugrundeliegenden Regeln.

Ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag

Halbwissen und Unwissenheit sowie Misstrauen und Vorurteile können den Fortschritt von Technologien mindern - oder aber noch schlimmer; zu blindem Vertrauen führen. Daher gilt es das Wissen in der Gesellschaft zu stärken, in einen Diskurs zu gehen, Meinungsbildungsprozesse anzuregen und Aufklärungsarbeit zu leisten. Dafür müssen Leitlinien für digitale Ethik geschaffen werden, die Klarheit und Transparenz, Sicherheit und Vertrauen in der Bevölkerung fördern und fordern.

Es geht schlussendlich um die Verwirklichung der Wertevorstellungen der Nutzer gegenüber der Interaktion mit Maschinen, Produkten und Dienstleistungen sowie dem damit einhergehenden Daten- und Verbraucherschutz. Der Nutzer soll seine Entscheidungen frei und eigenverantwortlich treffen können und Ereignisse, die ihn miteinschließen, müssen klar nachvollziehbar sein, damit er entscheiden kann, wann ihn welche Technik unterstützen soll.

Wer also im Hinblick auf Technologie und Digitalisierung der Vorreiter ist, legt die Standards der digitalen Ethik, des Datenschutzes und der Qualität fest. Deutschland kann dies nur erreichen, wenn die Bundesregierung eng mit den europäischen Partnern zusammenarbeitet und Gesetzte & Strategien entwickelt, die konsequent umgesetzt und europaweit eingebettet werden. Es ist dabei unabdingbar, dass die Politik mit Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Medien und Zivilgesellschaft in den Diskurs und Austausch geht, um Risiken zu beurteilen und über den aktuellen Stand transparent zu kommunizieren und aufzuklären.

Denn bislang glänzen viele der neu aufkommenden Regularien selbst für Digital-Experten durch Intransparenz. Natürlich gibt es Bereiche, in denen Regulation notwendig ist, aber man kann durchaus argumentieren, dass die bisherige Erfolgsgeschichte der Digitalisierung auf eben diesem freien Raum beruht, in dem eine nie da gewesene grenzenlose Vernetzung ermöglicht und die Selbstregulation durch die Wahl der Nutzer entschieden wird.

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