Digitale Nachhaltigkeit – Informationen und Wissen als Ressource des 21. Jahrhunderts

Veröffentlicht am 11. May 2021

Stefanie Schwanke

Nachhaltigkeit und Digitalisierung – Zwei Buzzwords, die aus unserem Alltag nicht wegzudenken sind und doch für viele nicht unterschiedlicher sein könnten. Während beim Thema Nachhaltigkeit Bilder von Solaranlagen oder Öko-Latschen hervorgerufen werden, springen die Gedanken beim Thema Digitalisierung hin zu Smart Glasses, Virtual Reality oder gar autonomen Mobiltitätslösungen. Aber genauso wenig, wie Nachhaltigkeit rein ökologischer Natur ist, ist auch das Digitale nicht nur das Aufkommen neuer technologischer Devices. Doch was ist eigentlich nachhaltig? Und warum betrifft Nachhaltigkeit auch unseren Umgang mit unserer digitalen Welt?

Was ist Nachhaltigkeit?

Es gibt wenige Begriffe, die uns in den vergangenen Jahren häufiger begegnet sind als Nachhaltigkeit. Dabei ist eine genaue und einheitliche Definition des Begriffes immer noch nicht etabliert und Teil eines anhaltenden Diskurses. Wenngleich der Grundgedanke des Nachhaltigkeits-Prinzips bereits seit Jahrhunderten in verschiedensten, oftmals philosophischen Schriften ergründet wurde.

„Derjenige, der Bäume pflanzt, obwohl er weiß, dass er nie in ihrem Schatten sitzen wird, hat zumindest angefangen, den Sinn des Lebens zu verstehen.“ – Rabindranath Tagore

Hierzulande wird häufig Carl von Carlowitz genannt, wenn es um den Startschussgeber für nachhaltiges Handeln und Denken geht. Der Freiberger Oberberghauptmann entwickelte vor gut 300 Jahren zur Sicherung des Wald- und somit auch Rohstoffbestands ein forstwirtschaftliches Konzept, welches vorsah, dass immer nur so viel abgeholzt werden darf, wie durch natürliche bzw. planmäßige Aufforstung wieder regeneriert werden kann.

Doch Nachhaltigkeit ist natürlich nicht nur ökologischer Natur. So entstammt die bekannteste Definition des Nachhaltigkeit-Begriffs aus dem so genannten Bundtland-Bericht der Vereinten Nationen, in dem 1987 vermerkt wurde, dass „nachhaltige Entwicklung eine Entwicklung darstellt, welche den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Fähigkeit künftiger Generationen bei der Erfüllung ihrer eigenen Bedürfnisse zu beeinträchtigen.“

Nachhaltigkeit wird somit als breitgefächertes Leitbild für politisches, ökologisches sowie wirtschaftliches Handeln verstanden, welches sowohl auf die Gegenwart als auch auf die Zukunft ausgerichtet ist. Im Zentrum stehen dabei immer Mensch und Umwelt mitsamt aller volkswirtschaftlichen sowie sozialen Aspekten, die in einem dauerhaften Kontext als schützenswert gelten. Kurz gesagt: Nachhaltigkeit bedeutet, dass wir mit jedweder Ressource so umgehen, dass deren Fortbestand gesichert ist und den folgenden Generationen zum Erhalt oder der Verbesserung der Lebensbedingungen dient.

Digitales Wissen – Nachhaltigkeit weitergedacht

Angekommen im 21. Jahrhundert, stehen wir nun vor der Frage, inwiefern immaterielle Güter und vor allem auch das gesammelte Wissen in einem globalen sowie digitalen Zeitalter als schützenswerte Ressourcen gelten müssen? So ist digitales Wissen zwar in Form von Daten, Software und Dokumenten beliebig nutzbar und einfach zu vervielfältigen, jedoch stehen dem häufig Einschränkungen in Form von Lizenzen oder technischen Barrieren entgegen, sodass das enorme Potential digitalen Wissens einer Gesellschaft nicht in vollem Umfang zur Verfügung steht.

Die wachsende Bedeutung digitaler Ressourcen nahm Dr. Marcus M. Dapp deshalb in seinem 2013 veröffentlichten strategischen Konzept zur digitalen Nachhaltigkeit zum Anlass dafür zu plädieren, dass digitale Ressourcen offen und dadurch in größtmöglicher Anzahl frei zugänglich und ohne technische sowie rechtliche Restriktionen wiederverwendbar sein müssen. Nur dann können digitale Ressourcen nachhaltig verwendet und ihr Nutzen für die Gesellschaft maximiert werden.

Auf diesem Konzept aufbauend, machten sich Matthias Stürmer, Gabriel Abu-Tayeh und Thomas Myrach daran, in ihrer 2017 erschienenen wissenschaftliche Publikation zehn Voraussetzungen auszuarbeiten, die ein digital nachhaltiges Gut(1.-4.) samt Ökosystem(5.-9.) aufweisen muss:

1. Ein digitales Gut muss qualitativ ausgereift sein. U.a. verständliche Programmierung, Funktionalität und Abdecken benötigter Anforderungen.

2. Transparente Strukturen. U.a. vollständige Offenlegung des Quellcodes und öffentliche Nachvollziehbarkeit sowie Dokumentation des Datenformats mittels offener Standards.

3. Verknüpfen von digitalen Informationen durch semantische Daten, damit auch Maschinen die Informationen verstehen können und die einfache Weiterverarbeitung gewährleistet wird.

4. Informationen und Anwendungen müssen mehrfach an verteilten Standorten gespeichert werden, um die langfristige Verfügbarkeit zu erhöhen und die Abhängigkeit vom physischen Standort zu reduzieren.

5. Rechtliche Rahmenbedingungen müssen durch freie Lizenzen erlauben, dass digitale Güter frei verfügbar sind und das digitale Wissen von der Gesellschaft uneingeschränkt genutzt werden kann.

6. Um die fachkundige Verbesserung und Erweiterung digitalen Wissens zu fördern, muss auf geteiltes Wissen gesetzt werden. D.h. Know-how und Erfahrungen sollen nicht auf einzelne Personen/Firmen reduziert, sondern auf möglichst viele Menschen aus unterschiedlichen Organisationen verteilt werden.

7. Eine gesunde Partizipations-Kultur muss geschaffen werden, damit sich alle fachkundigen Personen an der Erweiterung und Weiterentwicklung des digitalen Guts beteiligen können.

8. Die Kontrolle und Verantwortlichkeiten über das digitale Gut soll durch transparente sowie faire Führungsstrukturen möglichst dezentral verteilt werden.

9. Infrastruktur, zuständiges Personal und weitere Ressourcen sollten durch eine möglichst breit abgestützte Finanzierung bezahlt werden, um die Abhängigkeit von einzelnen Institutionen sowie Interessenskonflikte zu reduzieren.

10. Allgemein sollen digital nachhaltige Güter und deren Communities einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung im klassischen Sinne leisten. Dies betrifft eine positive ökologische, soziale oder ökonomische Wirkung und erfordert, dass digital nachhaltige Güter in ihrer Herstellung und Anwendung Ressourcen aus nachhaltigem Hintergrund nutzen.

Auswüchse von Nachhaltigkeit in digitalen Zeiten

Das Erfüllen dieser zehn Voraussetzungen scheint nahezu unmöglich, gar utopisch. Daran ändert auch die Gewissheit wenig, dass es in den vergangenen Jahren bereits mehrere Projekte geschafft haben, einige dieser aufgezählten Eigenschaften unter sich zu vereinen. So setzen Plattformen wie Wikipedia oder OpenStreetMap auf eine äußerst positive Partizipationskultur ihrer Community, in der jeder Informationen beitragen kann und faire Governance-Strukturen eine stetige Verbesserung fördern.

Zusätzlich gibt es immer mehr Open-Source-Projekte in verschiedensten Branchen, die, ähnlich dem beliebten Betriebssystem Linux, auf das Know-How sowie Mitwirken tausender Personen aus verschiedensten Firmen bei der Weiterentwicklung setzen und die Finanzierung so breit wie möglich im Sinne des gesicherten Fortbestands streuen.

Und auch in der Wirtschaft finden Neuentwicklungen statt, die den Nachhaltigkeitsgedanken in sich tragen und vor allem auf der zunehmenden Verbreitung und Zugänglichkeit von Informationstechnologien fußen, aber auch aus den Änderungen menschlicher Bedürfnisse, der verstärkten Urbanisierung sowie der Marktsättigung resultieren. So haben sich im Sinne der sharing economy neue Plattformen wie Ebay, Airbnb oder BlaBlaCar  entwickelt, die öffentliche Markt-, Tausch- und Sharingplätze für Privatpersonen anbieten – leider oftmals einhergehend mit Reboundeffekten wie bspw. die Steigerung des Energiebedarfes oder die negativen, sozialen Folgen am Wohnungsmarkt.

Zudem gibt es Ansätze wie Green IT, bei der es u.a. darum geht, dass Rechenzentren mit Ökostrom gespeist werden, neue Energiespar-Funktionen für Geräte entwickelt und deren Lebensdauer sowie Wartbarkeit erhöht werden. So stieg in den vergangenen Jahren in Deutschland zwar der Energieverbrauch durch Rechenzentren stetig an, jedoch ist der Energieverbrauch von z.B. Fernseher oder PCs dank fortwährender Optimierung konstant rückläufig. Verschiedene politische und innerunternehmerische Initiativen sind hierbei bereits gestartet, um die Energieeffizienz des gesamten IT-Sektors weiter zu erhöhen.

Ein utopischer Gedanke für ein gesamtgesellschaftliches Projekt

Im Unternehmenskontext haben sich also gerade durch die digitale Transformation einige Dinge getan, um einzelne Teilbereiche und Prozesse, wie auch Grüne Logistik, nachhaltiger zu gestalten. Die Erreichung aller nachhaltigen Kriterien scheinen aber auch deshalb unerreichbar, da Unternehmen natürlich ihren wirtschaftlichen Erfolg auf einen Wissens- bzw. Informationsvorsprung gegenüber ihren Wettbewerbern begründen, welcher im Gegensatz zur Offenlegung von Daten, Inhalten und Protokollen steht.

Und doch haben Unternehmen die Möglichkeit solche und ähnliche Informationen als Blaupause für ihre eigene Corporate Digital Responsibility (CDR) zu verwenden, die sie entlang ihrer wirtschaftlichen Interessen, aber unter Einbezug sozialer, kultureller sowie ökologischer Verantwortung selbst gestalten können. Eine CDR ist zwar bislang nur eine freiwillige Selbstverpflichtung für Unternehmen und Firmen, jedoch versprechen sich viele durch sie auch einen zukünftigen Wettbewerbsvorteil, da eine CDR auf nachhaltige Optimierung setzt und sowohl intern als auch extern hinsichtlich Kunden und Partnern vertrauensbildend ist.

Dieses Vertrauen in neue Technologien, Unternehmensprinzipien und einer zugänglichen Nachhaltigkeit muss aber erst wachsen. Die große Crux beim Thema Nachhaltigkeit ist nämlich in den meisten Fällen immer noch eine Frage des Geldes. Wenn es um materielle Güter wie Autos, Möbel oder technologische Gadgets geht, die nachhaltig gestaltet sind, bestimmt häufig nicht die Frage „Will ich durch den Kauf eines nachhaltigen Produktes meinen Beitrag zum großen Ganzen leisten?“ den Gedankengang des Konsumenten, sondern „Kann ich mir ein nachhaltiges Produkt überhaupt leisten?“.

Hier sollte die digitale Welt eigentlich einen Vorsprung haben, da immaterielle Güter wie Daten und Informationen kein wirkliches Preisschild kennen. Aber auch hier zeigt sich, dass sich die Intentionen verändert haben, was nicht zuletzt auch der andauernde Diskurs hinsichtlich einer digitalen Ethik veranschaulicht. Stand zu Beginn des Internets noch das große Wir im Vordergrund, indem ein träumerischer globaler Spielplatz entdeckt wurde, der keine Grenzen kannte und unendliche Freiheiten bot, werden wir heute mit einer nicht nur im Social Media-Bereich um sich greifenden Ich-Bezogenheit konfrontiert, in der Daten das wertvollste und somit teuerste Gut darstellen.

Bei der digitalen Nachhaltigkeit müssen sich deshalb Unternehmen klar positionieren und Verantwortung für ihre Handlungen übernehmen. Genauso sollten auch die Konsumenten stets kritisch hinterfragen, welchen Beitrag sie selbst leisten können und welches Unternehmen oder digitale Gut sie unterstützen möchten. Denn Nachhaltigkeit beginnt nicht einfach in einem bestimmten Sektor, sei er ökologisch, ökonomisch oder politisch; sie beginnt beim Einzelnen, der seinen Blick erweitert und seinen Weg vom alles übertünchenden Ich zurück zum Wir findet. Die Geburtsstunde unserer digitalen Welt proklamierte diesen offenen Gemeinschaftscharakter – vielleicht ist im Sinne der Nachhaltigkeit die Zeit gekommen, hierzu gesamtgesellschaftlich zurückzukehren.

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