Digitalisierung der Lebensmittelbestellung – Geklickt, Geliefert; Gewinn?
Die Art und Weise Lebensmittel zu bestellen, hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Während das Unternehmen Just Eat Takeaway, welches wir hierzulande unter Lieferando kennen, bereits zu Beginn der Pandemie ein Umsatzwachstum von über 50 % verzeichnete, drängen mehr und mehr Online Bringdienste auf den Markt, die Lebensmittel für einen kleinen Aufschlag innerhalb weniger Minuten an die Haustüre liefern.
Der von den Berliner Start-ups Gorillas und Flink dominierte Kampf um Marktanteile gleicht dabei immer noch hauptsächlich einer Schlacht um neue Investoren und strategische Partner – es will ja schließlich niemand die Eroberung dieses neuen Marktes verpassen. Doch ist dieser digitale Supermarkteinkauf nur eine Begleiterscheinung der aktuellen Zeit oder stellen die aus dem Boden schießenden Bringdienste tatsächlich ein zukunftsfähiges Konzept dar, welches unser Einkaufverhalten nachhaltig verändern wird?
Lebensmitteleinkauf per App – (K)Eine neue Idee
Das Bestellen von Lebensmitteln und Konsumgütern ist an sich kein neues Konzept. Direktvertreiber wie Bofrost oder Eismann beliefern bereits seit gut einem halben Jahrhundert Haushalte und Einzelhandel mit Tiefkühlkost. Und auch andere Anbieter, die ihren Fokus eher auf Luxusartikel legen und den Menschen z. B. Spirituosen, Öle, Kaffee oder verschiedenste Delikatessen in Katalogen anbieten, agierten bereits vor der digitalen Ära auf dem Markt. Dass dieser analoge Bestellprozess mithilfe von Applikationen oder Websites nun vermehrt seinen Weg in das Digitale findet, ist schlicht der unaufhaltsame Gang der Dinge.
Ein großer Unterschied ist jedoch, dass das Sortiment bei den neuen Anbietern keine Begrenzungen mehr kennt und sich das Angebot tatsächlich mit dem eines gängigen Supermarktes vergleichen lässt. Die Kunden müssen sich also nicht mehr auf eine kleine Auswahl spezifischer Produkte beschränken, sondern können nach Lust und Laune ihren Warenkorb mit alltäglichen Konsumgütern bestücken. Der Clou dabei: Die hiesigen Bringdienste versprechen, dass die Lieferung in 10 Minuten vor der Haustüre steht. Wer also während dem Backen bemerkt, dass doch nicht genügend Zucker vorhanden ist oder beim Einkauf die Schokostreusel vergessen wurden, kann schnell über die App eine Bestellung aufgeben ohne die eigenen vier Wände verlassen zu müssen.
Das Prinzip des digitalen Supermarkteinkaufs, welcher in kürzester Zeit abgeschlossen und zugestellt werden kann, ist aber ebenfalls kein vollkommenes Neuland für die deutschen Start-ups. Die Electronic-Food-Anbieter (E-Food) Instacart und Gopuff nutzten bereits 2012 bzw. 2013 digitale Vertriebskanäle, um Nordamerikanern den Gang zum Supermarkt zu ersparen. Und auch in Europa gibt es seit Jahren E-Food-Anbieter wie Rohlik aus Teschechien (2014), welches in Deutschland unter dem Namen Knuspr ausfährt, und Getir (2015) aus der Türkei. Das Istanbuler Unternehmen war übrigens auch der erste online Lebensmittellieferant, der die von Flink und Gorillas auferlegte 10-Minuten-Grenze einführte.
Zahlendreherei – Funktioniert das Geschäftsmodell?
Geld fließt bei den neuen Big Playern, welche den Online-Lebensmittelmarkt erobern wollen, eigentlich nur in eine Richtung – von den Investoren zu den Anbietern. Flink und Co. auf Grund einer eher unübersichtlichen Datenlage als Geldvernichtungsmaschinen zu bezeichnen, mag deshalb zwar hart klingen, scheint aber einer Realität zu entsprechen, die sich in der Vergangenheit auch bei anderen Lieferdiensten inner- und außerhalb der Lebensmittelbranche zumindest zu Beginn abzeichnete. So konnte der Versandhändler Zalando zwar seit der Gründung 2008 mit stetig steigenden Umsatzzahlen glänzen, jedoch dauerte es ganze sechs Jahre, bis das erste Mal schwarze Zahlen geschrieben werden konnten.
Ein weiteres Beispiel ist der in erster Linie auf Getränkelieferungen spezialisierte Bringdienst Flaschenpost, der 2020 für 1 Milliarde von der Oetker-Gruppe gekauft wurde. Nach anfänglichen Schwierigkeiten verdreifachte Flaschenpost seinen Umsatz im Jahresrhythmus und wurde so in Branchenkreisen bereits vor der Übernahme als Erfolgsmodell gekennzeichnet. Ein Erfolgsmodell, das monatlich zwischen 2 und 3 Millionen Euro Miese macht. Der „Erfolg“ von Online-Lieferdiensten hat in diesem Sinne also wirklich nichts mit Gewinn, geschweige denn Gewinnmaximierung, zu tun, sondern mit Umsatz und dem Erhalt von Marktanteilen.
In den vergangenen zwei Jahren stieg die Anzahl deutscher Kunden, die online hin und wieder Lebensmittel bestellen, auf 26 % (vor der Pandemie: 16 %), wodurch sich das Umsatzwachstum der E-Food-Branche fast verdoppelte. Hat der Hype somit hauptsächlich mit der aktuellen Lebenssituation zu tun? Interessanterweise stieg im Laufe der Pandemie auch die Anzahl der Personen, die vor Ort in Supermärkten oder in Discountern einkaufen gehen, in ähnlichem Maße wie der Onlinehandel. Legen die Menschen in diesen Zeiten also einfach nur mehr Wert auf den Lebensmitteleinkauf? Vielleicht auf Grund mangelnder Alternativen während der Lockdowns oder weil mehr Zeit dafür genutzt werden konnte, sich Gedanken über das Kochen oder ganz allgemein die Ernährung zu machen? Klar beantworten kann man dies nicht.
Deutschland hinkt beim E-Food hinterher
Wie zukunftsfähig die neuen Konzepte wahrhaftig sind, lässt sich nur schwer anhand der Zahlen voraussagen. Fakt ist, dass der gesamte Onlinehandel in der Pandemie einen fast schon erwartbaren Boom erlebte. Im europäischen Vergleich hat dies aber nichts daran geändert, dass Deutschland weiterhin das Schlusslicht beim Thema E-Commerce mit Lebensmitteln und Konsumgütern bildet. Während in Großbritannien knapp 14 und in Frankreich knapp 11 % aller Umsätze diesbezüglich auf den E-Commerce fallen, macht der Onlinehandel mit Lebensmitteln in Deutschland gerade einmal 2 % der Umsätze aus. Der Vormarsch könnte demnach eher als ein allmähliches Vortasten gesehen werden. Ein Tropfen auf den heißen Stein.
Das noch existierende Desinteresse der Deutschen wird auch teilweise darauf zurückzuführen sein, dass es in Deutschland gefühlt seit Ewigkeiten Gang und Gäbe ist, auch kleine Einkäufe kurzfristig beim Supermarkt um die Ecke zu erledigen und nebenbei vielleicht noch beim Metzger oder Bäcker des Vertrauens vorbeizuschauen. Diese Einkaufskultur, die sich in vielen anderen Ländern z. B. durch das Aussterben kleinerer Shops oder dem Hang zum Monatseinkauf vollkommen anders entwickelt hat, wird sich nicht von heute auf morgen und vor allem nicht generationsübergreifend einfach ablegen lassen. Gleichzeitig ist es unübersehbar, dass Deutschland bei vielen digitalen Neuerungen, die das alltägliche und öffentliche Leben betreffen, nicht gerade zu den Vorreitern gehört.
Die bisherigen Konzepte müssen ihre Wirtschaftlichkeit zwar erst noch beweisen − Scheitern miteingeschlossen −, jedoch geben sie natürlich einen Vorgeschmack darauf, dass sich auch die Lebensmittelbranche, wie viele andere Branchen vor ihr, immer weiter in die Online-Welt verlagert. Dass die Shopping-Experience der Zukunft eine gewisse Kontakt- sowie Bargeldlosigkeit mit sich bringen wird, ist dabei jetzt schon klar. Auch die damit einhergehenden Neuerungen brauchen aber weiterhin Zeit, stetige Optimierung und Durchhaltevermögen bis sie auf eigenen Beinen stehen können. Ob das vor Ort Erlebnis aber zum großen Teil durch den Onlinehandel verdrängt wird, darf zum jetzigen Zeitpunkt noch stark bezweifelt werden. Am Schluss entscheiden zu Recht die Nutzer, ob der angebotene Service angenommen wird und das dahinterstehende Unternehmen von ihnen Zustimmung findet.
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Quellen:
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/corona-gastronomie-lieferdienste-101.html
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/bofrost-eismann-corona-1.5294207
https://www.ring-of-fire.de/knuspr/