Inklusive Gestaltung: Diversität erkennen, Vorteile verstehen

Veröffentlicht am 29. November 2019

Sebastian Baldauf

Das vielschichtige Thema Inklusion ist sowohl auf politischer Ebene als auch in den Medien so aktuell wie selten zuvor. Auch Unternehmen wissen nicht erst seit gestern, welche Herausforderungen sowie Möglichkeiten hinter dieser Thematik stecken und versuchen ihr Bewusstsein hinsichtlich der Entwicklung und dem Ausbau integrativer Praktiken weiter zu schärfen.

Doch Inklusion ist kein einfaches Thema. Es erfordert das stetige Hinterfragen des Status Quo und gibt nur selten Antworten darauf, wie man es tatsächlich allen recht machen kann, ohne Individuen kleinzureden oder gar im Prozess der Verallgemeinerung zu verlieren.

Dabei mangelt es nicht an Konzepten zum Thema Inklusion und die Interpretation der einzelnen Themenkomplexe ist so vielfältig wie deren Terminologie. Barrierefreiheit, Design für Alle, Zugängliches oder Universelles Design: Alles irgendwie austauschbar und gleich – oder doch nicht?

If you want creative quality, you need creative diversity.

Bevor wir uns also mit dem nutzerzentrierten Prozess des Inclusive Design beschäftigen, sollten wir uns erstmal einen Überblick über die vorherrschenden Begrifflichkeiten machen.

 

Ab durch den Terminologie-Dschungel

Barrierefreiheit ist im deutschen Behindertengleichstellungsgesetz verankert und erfasst alle Bereiche, die von Menschen gestaltet werden. Dies bedeutet, dass jedwede von Menschen gestaltete Einrichtung oder Information für Menschen mit Behinderungen auffindbar, zugänglich und nutzbar gemacht werden muss, ohne dass hierfür fremde Hilfe vonnöten ist.

Zugängliches Design (Accesible Design) ist ein Design-Prozess, der die individuellen Fähigkeiten eines Menschen sowie mögliche Leistungseinschränkungen berücksichtigt, damit Produkte, Dienstleistungen oder Gebäude ohne Weiteres oder mit Unterstützungstechnologie genutzt werden können. Das aus den USA stammende Gestaltungskonzept legt dabei ähnlich der Barrierefreiheit das Hauptaugenmerk auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen.

Design für Alle ist ein europäisches Konzept, welches auf den Grundlagen der Barrierefreiheit aufbaut und zusätzlich ästhetische Aspekte miteinbezieht. Unter Berücksichtigung der Hauptkriterien Gebrauchsfreundlichkeit, Anpassbarkeit, Nutzerorientierung, Marktorientierung und eben Ästhetischer Qualität sollen Produkte gestaltet werden, die zugänglich, nutzbar und erlebbar für möglichst alle Menschen sind.

Universelles Design (Universal Design) stammt aus den USA und ähnelt dem Konzept “Design für Alle”. Während in Europa eine Einheitlichkeit für Alle angestrebt wird, die jedoch nicht erzwungen werden soll, stellen die Prinzipien des Universellen Designs klare Anforderungen dar und sehen das Individuum, nicht die Gruppe, im Mittelpunkt. Der US-Ansatz baut dadurch weniger auf das soziale Engagement per se, sondern sieht eine klare Marktorientierung vor.

Da vor allem das Universelle Design häufig mit dem Inklusiven Design gleichgestellt wird, schauen wir uns nun die Hauptprinzipien der Methode an, um Unterschiede oder eine mögliche Abgrenzung zum Inclusive Design herzustellen.

Die 7 Prinzipien des Universal Design

  1. Gleichberechtigte Nutzbarkeit: Design ist nutzbar und vermarktbar für Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten.
  2. Flexibilität in der Anwendung: Das Design berücksichtigt eine Vielzahl von individuellen Vorlieben und Fähigkeiten.
  3. Einfache und intuitive Benutzung: Die Verwendung des Designs ist leicht zu verstehen. Unabhängig von der Erfahrung, dem Wissen, den Sprachkenntnissen oder der aktuellen Konzentration des Benutzers.
  4. Wahrnehmbare Informationen: Das Design vermittelt dem Benutzer die erforderlichen Informationen unabhängig von den Umgebungsbedingungen oder den sensorischen Fähigkeiten des Benutzers.
  5. Fehlertoleranz: Das Design minimiert Risiken und die nachteiligen Folgen von zufälligen oder unbeabsichtigten Handlungen.
  6. Geringer körperlicher Aufwand: Das Design kann effizient, komfortabel und ermüdungsfrei eingesetzt werden.
  7. Größe und Platz für Zugang und Benutzung: Unabhängig von Körpergröße, Körperhaltung oder Beweglichkeit des Benutzers werden für den Zugang, Reichweite, Manipulation und Verwendung geeignete Größen und Platz bereitgestellt.

One-Size-Fits-All versus One-Size-Fits-One

Die 7 Prinzipien des Universellen Designs zeigen auf, dass es sich hierbei hauptsächlich um ein Umgebungs-Design handelt. Dem Benutzer soll in unterschiedlichsten Situationen Zugriff gewährt werden können, ohne dass weitere Anpassungen erforderlich sind. Universelles Design stellt also eine Einhheitsgröße dar, dessen Prinzipien die besten Eigenschaften eines Endergebnisses bzw. endgültigen Designs beschreiben: One-Size-Fits-All.

Im Gegensatz hierzu ist das Inklusive Design ein One-Size-Fits-One. Dies bedeutet aber nicht, dass sich die beiden Konzepte ausschließen. Es geht vielmehr darum, dass sich das Universal Design auf die besten Qualitäten eines endgültigen Designs konzentriert, während sich Inclusive Design mehr mit dem Prozess beschäftigt, wie ein Designer zu einer Lösung gelangt ist.

Inclusive Design setzt darauf, die Vielfalt und Einzigartigkeit jedes Einzelnen zu berücksichtigen, denn die meisten Menschen haben solch unterschiedliche Bedürfnisse, dass sie vom Durchschnitt abweichen und somit eine Massenlösung nicht funktionieren würde. Deswegen muss der gesamte Designprozess und die verwendeten Werkzeuge inklusiv sein – Je vielfältiger das Designteam, desto leichter fällt es, eine Randperspektive einzunehmen und die Bedürfnisse von sogenannten “Extremen Benutzern” zu verstehen.

There is no such thing as an average user.

Die inklusive Designmethode richtet sich daher nach dem Motto “kreative Vielfalt erzeugt kreative Qualität”. Es geht nicht um eine Einheitsgröße bzw. um eine Sache für alle Menschen zu entwerfen, sondern darum, eine Vielzahl von Möglichkeiten zur selbstbestimmten Teilnahme zu entwerfen, damit jeder Einzelne das Gefühl der Zugehörigkeit hat. Jeder Mensch soll selbstbestimmt, selbstständig und genussreich an Kunst, Kultur und Information teilhaben, Produkte und Dienstleistungen ohne Einschränkungen nutzen können.

Inklusion als ganzheitlicher Ansatz

Jegliches Design, welches auf Inklusion setzt, sollte auf einem soliden Verständnis der Grundlagen von Barrierefreiheit aufbauen, da hierdurch die Haupteigenschaften für ein für alle offenes Erlebnis abgedeckt werden. Schlussendlich sollten integratives Design und etablierte Zugänglichkeitsstandards so genutzt werden, dass neue Erfahrungen zum Nutzungsverhalten gesammelt werden können, die tatsächlich Abweichungen vom Standard inkludieren und somit eine breitere Nutzbarkeit ermöglichen.

Sowohl Zugänglichkeit, Universelles Design als auch Inklusives Design bedingen sich auf unterschiedlichen Ebenen und haben alle ihre Stärken, um ein wahrhaft inklusives Produkt zu gestalten. Designer sollten deshalb mit allen Konzepten vertraut und sich der allgemeinen Auswirkungen eines Designs bewusst sein. Ein inklusives Nutzererlebnis sowie eine reibungslose Interaktion zwischen Mensch und Maschine sind nämlich nur dann erreichbar, wenn man sowohl den Gewohnheiten der Masse als auch den vielfältigen Bedürfnissen der einzelnen Benutzer Gehör schenkt.

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