Ist der nachhaltige Unternehmenserfolg durch gute User Experience messbar?

Veröffentlicht am 05. October 2020

Julian Schwarz

Die Messbarkeit von User Experience ist ein weites Feld - nicht nur, weil man darüber philosophieren kann, inwiefern eine Erfahrung überhaupt messbar ist, sondern weil der ganzheitliche Ansatz der UX oftmals nicht als fundamentaler Teil des gesamtunternehmerischen Ansatzes gesehen wird. UX erfordert nicht nur ein hohes Design-, sondern auch ein hohes Business-Verständnis, damit interne Unternehmensprozesse und -systeme stufenweise optimiert werden können. Doch wie kann sich dies in Zahlen zeigen?

Wenn es um Nutzertests geht, stehen heutzutage zur Überprüfung einer Anwendung eine Vielzahl von Analyse-Tools zur Verfügung, die bei der Erhebung von quantitativen Daten helfen. Und auch qualitative Daten werden durch Nutzerinterviews oder Usability-Tests gut abgedeckt. Will man jedoch das wahre Potenzial von UX im unternehmerischen Kontext nutzen, muss man verstehen, dass UX die gesamte Arbeitsweise eines Unternehmens verändern kann und somit eine gewichtige Rolle bei der strategischen Planung sowie dem Unternehmenserfolg spielt.

Dabei geht es nicht nur um die Sensibilisierung der Thematik an sich, sondern um einen wirklichen Change, der den Fokus weg von den oftmals reinen Produktlösungen hin zu nutzerorientierten Lösungen lenkt. Die Identifizierung relevanter UX-Indikatoren ist dadurch sowohl bei kurzfristigen Projekten als auch bei der mittel- bis langfristigen Unternehmensausrichtung von entscheidendem Vorteil.

Die Ausgangslage

Metriken und KPIs (Key Performance Indicators), also die unternehmensspezifischen Kennzahlen, die als Schlüsselfaktoren angesehen werden, werden schon lange bei der Produkt- und Projektsteuerung zur Leistungsermittlung genutzt. Wenn man nun konkrete Messindikatoren herausarbeiten will, die dabei helfen, UX Methoden und Modelle innerhalb eines Unternehmens bzw. einer Unternehmenseinheit besser und risikoärmer zu implementieren, sollte man sich vorerst einen Überblick über den Status quo machen.

Dies bedeutet zunächst die Kernwerte, Erwartungshaltung sowie die Unternehmenszielsetzung des Managements zu identifizieren und konzeptionell auf die möglichen UX KPIs zu übertragen. Für was steht das Unternehmen, welche Ziele werden verfolgt und was würde überhaupt als 'Erfolg' bezeichnet werden? Gleichzeitig gilt es natürlich klarzustellen, ob bereits intern UX Messmethoden eingesetzt werden und inwiefern etablierte externe Methoden im Unternehmenskontext adaptiert werden können.

Dazu zählt ebenfalls zu evaluieren, inwieweit die UX allgemein schon im Unternehmen angekommen ist. Gibt es einen dedizierten UX-Bereich, der bei der Sensibilisierung und dem Verständnis gegenüber der Thematik übergreifend unterstützt? Wurden schon relevante Grundlagen geschaffen, wie z.B. ein standardisiertes User Interface-Design, oder ganz allgemein Umsetzungsprozesse hinsichtlich der Nutzerorientierung z.B. durch die Design Thinking-Methode etabliert?

Falls es noch überhaupt keine UX-Standards gibt, ist die Messbarkeit natürlich erschwert und vor allem bei Großprojekten wird der Effekt kaum festzustellen sein. Deshalb ist es wichtig, sich klarzumachen, wo und in welcher Phase man mit der UX-Implementierung steht. Ansonsten wird mit KPIs schnell um sich geworfen, ohne genau zu wissen, warum etwas überhaupt funktioniert oder von Wichtigkeit ist. Dezentrale Messindikatoren bei kleinen Projekten sind daher ein aussagekräftiger erster Schritt, bevor erste Standards im großen Umfang implementiert werden können.

Wertschöpfungsketten als Grundlage

Der interorganisatorische Austauch von Daten und Services sowie eine unternehmensübergreifende Zusammenarbeit an sich sind unabdingbar für ein effizient arbeitendes Unternehmen. Deshalb ist das Herausarbeiten konkreter Wertschöpfungsketten bzw. der Wertschöpfungstiefe essentiell bei der Ermittlung von KPIs und deren notwendigen Nachvollziehbarkeit im Unternehmens-, Ziel- und UX-Kontext.

Damit bei der Herausarbeitung der Wertschöpfungsketten qualitative Daten als Grundlage dienen, sollten zunächst die Rollen und deren Verantwortlichkeiten im Unternehmen bzw. Team identifiziert und definiert werden. Zur Datenerhebung eignen sich dabei klar auf die entsprechenden Rollen ausgerichtete Interviews, die in ihrem Detaillierungsgrad nach und nach ausgeweitet werden können. Hierdurch können konkrete Herde identifiziert werden, wo ein Change stattfindet, indem z.B. KPIs und Referenzprojekte verglichen werden.

Durch die Interviewauswertung sowie das "Mapping" auf die Prozesslandschaft können erste Wertschöpfungsketten festgestellt und Kernbereiche, die mit UX in Abhängigkeit stehen, mit den übergeordneten Projektleitern, Controlling- und Business Development-Bereichen abgestimmt werden. Die somit identifizierten KPIs werden bewertet, priorisiert und nach Machbarkeit und Umsetzungskomplexität kategorisiert.

Umsetzungs-Validierung durch Feldtests

Um die identifizierten KPIs risikoarm zu überprüfen, eignet sich nach Abschluss und Auswertung der Interviewphasen das Durchführen von einem oder mehreren überwachten Feldtests bzw. Testprojekten. Die bisherigen Erkenntnisse fließen in die Projekte ein und werden durch Messpunkte geprüft. So können die KPIs direkt in der Praxis auf den Implementierungsaufwand und auf ihre Aussagekraft hinsichtlich der Disziplin UX untersucht werden.

Neben der Wertschöpfungskette und -tiefe werden dabei vor allem auch Aspekte wie Nachvollziehbarkeit, Transparenz, Risiko sowie Umsetzungszeitraum und -aufwand herausgearbeitet. Gleichzeitig gilt es die Aussagen sowie die Rollenkontakte im Kontext zur Implementierungstiefe, Zeitintervallen und ihrer Qualität zu überprüfen.

Je nach Projekt können dabei natürlich positive sowie kurzzeitig risikoarme Fehlfaktoren hinzugefügt werden, um die Prüfung auszuweiten und zu stärken. Das Vorgehen und die gewonnen Daten erlauben so das Erstellen ganzheitlicher UX Leitfäden, die schlussendlich allen erforderlichen Prozessen und Bereichen zur Verfügung stehen. So können die Erkenntnisse aus den KPIs z.B. in der gesamten Produkt- sowie Angebotsgestaltung berücksichtigt und übergreifend von den interdisziplinären Fachbereichen wie Entwicklung, Produktmanagement, Controlling, Customer Service etc. adaptiert werden.

Fundierte Entscheidungsfindung

Bei der UX geht es um mehr als nur Benutzeroberflächen und Design: Jeder Service, den ein Unternehmen bereitstellt, und jede Strategie, die ihm zugrunde liegt, beginnt und endet mit der Benutzererfahrung. Deshalb sollte es, wenn wir über KPIs sprechen, nicht nur um die üblichen Verkaufs-, Marketing- oder Finanzdaten gehen, sondern auch um Daten aus der Produktentwicklung. Vor allem hier ist es wichtig, Entscheidungen so fundiert wie nur möglich zu treffen, um sowohl zeit- als auch ressourcenschonend zu arbeiten und nicht frühzeitig in eine Sackgasse zu steuern.

Die aus den Schlüsselfaktoren ermittelten Daten sind notwendige Entscheidungshilfen, um die Auswirkungen von implementierten Lösungen auf das Unternehmen zu bewerten und gezielt das Wachstum voranzutreiben. Und nebenbei kann der wahrhafte und oftmals noch unterschätzte Geschäftswert von User Experience verständlich und transparent aufgezeigt werden - Denn UX ist von einem Design-Standpunkt nicht nur schön anzuschauen, sondern kann, wenn es von Anfang an in die Prozesse eingebunden wird, ein Unternehmen mehrwertig transformieren, was sich schlussendlich auch in den Zahlen zeigen wird.

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