Kultur und Design

Veröffentlicht am 09. February 2021

Janika Stief

Kulturelle Unterschiede als Teil des UX Designs

Dank eines durch die Globalisierung sowie das Internet aufblühenden multikulturellen Marktes, ist das Anbieten sowie Verkaufen von Produkten & Services über die eigenen Landes- und Sprachgrenzen hinweg heutzutage zu einem Standard geworden. Doch gerade dieses ‚Multikulturelle‘ reicht weit über schlichte Übersetzungen, erreichbare Plattformen oder ausgebaute Lieferketten hinaus und stellt Entwickler vor ganz neue Herausforderungen.

Vor allem in der Gaming Industrie wird schon lange viel Zeit und Geld in die Recherche über unterschiedliche Kulturen gesteckt, damit möglichst jedem Spieler ein passendes Produkt mit gleichwertigem Erlebnis offeriert werden kann. Das Abholen mehrerer Kulturen bedeutet schließlich das Erschaffen einer größeren Community und somit größeren Erfolg - Eine einfache Rechnung, die für jegliches global angebotene Produkt/Service gilt. Um dies zu erreichen und Nutzer aus anderen Kulturen nicht zu verwirren oder gelinde gesagt ihnen auf die Füße zu treten, müssen eine Vielzahl verschiedener Gesichtspunkte in den Gestaltungsprozess mit einbezogen werden.

 

Was ist eigentlich Kultur?

Das Wort Kultur als Einzelbegriff wird häufig recht lose eingesetzt, wobei zumeist ein künstlerischer bzw. gestalterischer Kontext (Architektur, Literatur, Malerei etc.) impliziert wird oder bei der Beschreibung eines Menschen von Kultiviertheit (Intelligenz, Anstand, Geschmack etc.) die Rede ist. Ansonsten betrifft Kultur zumeist die gemeinsamen Merkmale einer Nation (Sprache, Traditionen etc.) bzw. wird oft als Zusatz genutzt, um die Einstellung und Überzeugung bestimmter Gruppierungen hervorzuheben (Arbeits- oder Unternehmenskultur, politische Kultur etc.). Kultur ruft also in gewissem Sinne immer eine Konnotation mit Begriffen wie Identität und Ideologie in Form von Weltanschauung hervor.

Dass diese Weltanschauung und Wahrnehmung je nach Kultur unterschiedlich geprägt und von immenser Wichtigkeit hinsichtlich des Gestaltungsprozesses ist, beschrieb Marshall McLuhan bereits 1967 in seinem Buch „The Medium is the Message“, in dem er darauf aufmerksam machte, dass das ‚Außenherum‘ um den Nutzer nicht zu vernachlässigen ist, da es den Nutzer sowohl prägt als auch zu einem Individuum formt.

Jeder Mensch verfügt nämlich über natürlich angelerntes Wissen, welches ständig mit seiner Lebenswirklichkeit samt seiner bisherigen Erfahrungen abgeglichen wird. So weiß z.B. jeder, der in Deutschland zur Schule gegangen ist, dass ein Häkchen hinter einer Antwort ein gutes und ein Kreuz ein schlechtes Zeichen ist. Zeichen oder Symbole haben jedoch keine grundlegend universelle Gültigkeit. So würde ein Japaner im selbigen Beispiel ziemlich verdutzt aus der Wäsche gucken, wenn er von einem deutschen Korrektor eine 1,0 erhält, obwohl doch alle seine Antworten durch einen Haken als falsch markiert wurden.

 

Warum sind kulturelle Unterschiede im Design von Relevanz?

Im Design spielen kulturelle Unterschiede eine große Rolle, da man die spezifischen Bedürfnisse und Anforderungen verschiedener Nutzer verstehen muss, um eine optimale User Experience zu ermöglichen. Denn egal wie toll das angepriesene Produkt/Service auch sein mag - wenn die Informationen falsch codiert sind, kann ein Nutzer sie schlicht nicht entschlüsseln, wodurch das Produkt/Service für ihn wertlos ist. Es gilt also immer zu fragen: Ist dem Nutzer das Zeichen/Symbol/Bild bekannt und kann er es ‚richtig‘ interpretieren?

Offensichtlich sind diese Unterschiede z.B. bei der Anpassung von Sprache, Schrift- und Datumssystem. Jedoch sind auch hier weitere Hürden versteckt, wenn man sich tiefer mit der Materie beschäftigt. So kann eine andere Sprache auch eine andere Leserichtung mit sich bringen, die gleichzeitig die gesamte Wahrnehmung von Inhalten verändert. Während westliche Kulturen also links mit dem Lesen beginnen und nach diesem Prinzip (Z Prinzip) auch die Seite überfliegen, scannen asiatische Nutzer eine Seite kreisförmig und somit ihrer Leserichtung entsprechend rechts beginnend. Die kulturellen Gegebenheiten haben somit Einfluss auf den gesamten Aufbau und die Reihenfolge der dargestellten Elemente.

Um eine optimale Informationsaufnahme zu gewährleisten, reicht es aber oftmals nicht, die bloße Anordnung anzupassen. Die visuelle Darstellung sowie die Menge der Informationen unterscheidet sich ebenso in den Kulturen. So haben nicht nur Zeichen oder Symbole keine universelle Bedeutung, sondern auch Farben. Sieht z.B. ein US-Amerikaner nicht nur im übertragenen Sinne Rot, ist dies ein klares Zeichen für Gefahr, wogegen einem Chinesen die gleiche Farbe Glück und Freude vermittelt. Gleichzeitig benötigen manche Kulturen aufgrund ihrer angelernten Gewohnheiten viel Leerraum zwischen den Infos/Elementen und eine sehr klare Strukturierung, um sich in den Inhalten zurechtzufinden, während andere mehr oder minder scroll-faul sind und viel Information auf wenig Fläche bevorzugen.

 

Wie untersucht man kulturelle Unterschiede?

Eines der bekanntesten Modelle, um Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede zwischen Kulturen festzustellen, sind die Kulturdimensionen nach Geert Hofstede. Hierbei werden sechs verschiedene Dimensionen aufgelistet, die zur Beschreibung einer Kultur dienen:

1. Power Distance (Machtdistanz bzw. Hierarchische Ordnung)

2. Individualism vs. Collectivism (Individualismus vs. Kollektivismus)

3. Masculinity vs. Femininity (Umgang mit Geschlechterrollen)

4. Uncertainty Avoidance (Risikofreude vs. Sicherheitsdenken)

5. Long Term Orientation vs. Short Term Normative Orientation (Traditionalismus vs. Zukunftsgedanke)

6. Indulgence vs. Restraint (Freiheit vs. Regulierung).

Wer sich also fragt, ob bei Italienern im Gegensatz zu den Deutschen wirklich La Dolce Vita die Lebensart bestimmt oder inwieweit hierzulande tatsächlich der Sicherheitsgedanke im Vordergrund steht, kann auf https://www.hofstede-insights.com/ einen Nationenvergleich starten. Die Ergebnisse sollten aber nur als eine erste Orientierung dienen, da sie nicht mehr als einen breitflächigen Vergleich zwischen Ländern darstellen. Die Wertestruktur einer Nation ist nicht zuletzt durch den zumeist vorherrschenden Multikulturalismus nicht so einfach über einen Kamm zu scheren.

Jedoch gibt es natürlich gewisse Bedürfnisse, die kultur- sowie nationenübergreifend sind. Gerade durch das gestiegene Reiseverhalten sowie den einfachen Zugang zu verschiedensten Medien passen sich Kulturen und die Erwartungshaltung hinsichtlich eines Produktes oder Services immer weiter an. Deshalb haben sich auch im digitalen Raum bereits Normen etabliert, die als Richtlinien für die internationale Gestaltung dienen und eine gewisse Erwartungskonformität erzeugen.

 

Kulturpersonas und der Faktor Individualisierung

Um nun also etwas genauer festzustellen, auf welche Probleme spezifische Nutzer treffen könnten und ein höheres Verständnis sowie Empathie gegenüber einer Nutzergruppe zu erlangen, bietet es sich im Design an, Kulturpersonas anzufertigen. Hierbei werden wie bei normalen Personas eine, am besten aber mehrere fiktive Personen der gleichen Kultur erstellt. Mehrere deshalb, da selbst innerhalb einer Kultur Unterschiede auftreten können und man schließlich ein breites Spektrum an Nutzeranforderungen treffen möchte.

Die Gewichtung bei der Erstellung einer Kulturpersona liegt selbstredend besonders auf kulturell bedingten Merkmalen. Jedoch sollte man den Fokus nicht allzu sehr auf die Unterschiede legen und die - wenn man so will - üblichen Merkmale einer ‘Standard-Persona‘ ebenfalls inkludieren, da ansonsten die gesamte UX verzerrt wird und samt der Bedienung unnatürlich erscheint. Sowieso geht es weniger um Differenzierung denn um das Erschaffen von Möglichkeiten zur Individualisierung: Je weniger Barrieren einen Nutzer erwarten, desto freier kann er selbst mitgestalten und seine Umgebung so neu anordnen, wie es für ihn am plausibelsten und angenehmsten ist.

Vor allem in unseren Breitengraden hat sich daher im digitalen Kontext ein klarer Trend hinsichtlich einem cleanen und minimalistischen Erscheinungsbild entwickelt. Dies unterstützt nicht nur die Etablierung allgemeingültiger Design Patterns mit dem Schwerpunkt Typografie, sondern erlaubt auch die einfachere Individualisierung. So verfügt z.B. IOS über halbtransparente Flächen, durch die ein verändertes Hintergrundbild durchscheint, welches den ganzen Look des Gerätes an den Nutzer anpasst.

 

Kultur bedeutet Zuhören und Erleben

Auch wenn Farben und Symbolik sowie die Individualität und Wissensverarbeitung verschiedener Kulturen bereits weitestgehend erforscht wurden und man viele frei verfügbaren Informationen in den Gestaltungsprozess miteinbeziehen kann, verhält es sich auch bei Kulturen nicht anders als bei der grundlegenden Bedürfnis- und Anforderungsanalyse. Am Ende lernt man am meisten über eine Person und somit auch der Kultur, in der sie sich Zuhause fühlt, durch Interviews, iterierende Nutzertests und dem damit einhergehenden Feedback. Und wer wahrhaftig Kulturforschung betreiben will, sollte auf seinen Reisen schlicht Augen und Ohren offen halten - beobachten und erleben.

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