Mobile First – (K)eine zeitgerechte Lösung?

Veröffentlicht am 25. August 2023

Sarah Mager

Mittlerweile nutzen mehr als fünf Milliarden Menschen und somit weit über zwei Drittel der Weltbevölkerung ein Mobiltelefon, mit welchem schon lange nicht mehr nur telefoniert, sondern navigiert, fotografiert und im Web gesurft wird. In Deutschland hat der Anteil an Smartphone-Besitzern in den Altersgruppen der 14- bis 59-jährigen die 90-Prozent-Marke bereits geknackt und das Interesse an zusätzlichen mobilen Devices wie Tablets oder Wearables, die allesamt miteinander vernetzbar sind, scheint keine Grenzen zu kennen. Mobilgeräte sind daher nicht nur Teil des Alltags, sie stellen für die meisten Nutzer auch den prädominanten Weg in das Internet dar – einen Weg, der keinen vordefinierten Zugangskontext mehr kennt.

Dies hat natürlich Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Websites und Anwendungen konzipiert werden müssen. War bis in die 2000er noch klar, dass Webseiten den einzigen Zugang zum Internet darstellen und der Zugriff auf selbige über einen stationären Desktop erfolgt, gibt es nun eine Fülle an Endgeräten mitsamt unterschiedlichen Display-Größen, für welche die Inhalte optimiert werden müssen. Diese mobilen Endgeräte laufen der Desktop-Nutzung immer weiter den Rang ab, wodurch auch in der Entwicklung ein Umdenken stattfand – weg von einem Desktop-First- zu einem Mobile-First-Ansatz. Doch was verbirgt sich hinter Mobile First? Und inwiefern ist dieser Ansatz tatsächlich zeitgerecht?

 

Mobile First – Usability von mobilen Endgeräten aus gedacht

Als 2007 mit dem iPhone das erste Smartphone das Licht der Welt erblickte, war an eine einheitliche Darstellung von mobilen Websites noch nicht zu denken. Die Portierung der Desktop-Version war nur bedingt als solche zu bezeichnen, da schlichtweg der Zugriff auf eine Website gewährt wurde, aber keine wirkliche Anpassung an das genutzte Endgerät stattfand. Smartphone-Nutzer mussten stets zoomen, um überhaupt etwas erkennen zu können, und nicht selten litt auch die Funktionalität darunter, da Elemente der Website abgeschnitten wurden und somit unerreichbar waren.

Dies änderte sich erst durch dynamische Designs wie das 2010 eingeführte Responsive Design. Durch die Kombination aus fluiden Elementen und Media Queries werden Inhalte und Dimensionen an den zur Verfügung stehenden Raum des Ausgabegeräts angepasst, wodurch ein fließendes Layout entsteht, das auf Änderungen in der Anzeigengröße reagiert. Die auflösungsunabhängige Nutzung von Websites via mobiler Endgeräte war somit gewährleistet und beinhaltete zudem den Benefit, dass keine separate mobile Website mehr von Nöten war, sondern nur eine URL erstellt und gepflegt werden musste. Jedoch treten hierbei auch neue Probleme hervor, die vor allem zulasten der Usability gehen, die hierdurch eigentlich verbessert werden soll. Anstatt das Erlebnis auf den unterschiedlichen Geräten wahrhaftig zu berücksichtigen, werden Inhalte oftmals schlicht verschoben, wodurch der Nutzer endlos scrollen muss, oder eingekürzt bzw. ausgeblendet, was die angedachte Nutzererfahrung einschränkt.

Der 2014 von Luke Wroblewski vorgestellte Mobile-First-Ansatz versucht diese Probleme zu adressieren, indem die bisherige Vorgehensweise umgekehrt wird. Anstatt bestehende Desktop-Designs auf mobilen Endgeräten abzubilden, werden zuerst Inhalte und Layout für die mobile Variante konzipiert. Die Entwicklung und Optimierung startet sozusagen mit der kleinsten Displaygröße und wird danach Schritt für Schritt auf Tablets und Desktops übertragen. Da die Inhalte dadurch von Anfang an vereinfacht und reduziert werden, um eine nutzerfreundliche Darstellung auf allen Geräten zu gewährleisten, sehen viele Verfechter von Mobile First hierin auch einen schnelleren Weg zu einer besseren User Experience (UX). Wenn sich Designer vom Start weg nur auf das Wesentliche konzentrieren müssen, solle schließlich eine Website entstehen, die tatsächlich auf Übersichtlichkeit und maximale Funktionalität ausgerichtet ist.

 

Das Für und Wider – Zwischen Google, Nutzergruppen und unzähligen Endgeräten

Die Konzentration auf das Wesentliche ist einer der offensichtlichsten Vorteile von Mobile First. Der Verzicht auf unnötige Funktionen und der Fokus auf das Elementare, um eine geräteübergreifende, maximale Performance zu erreichen, sorgt im Optimalfall auf Entwicklerseite für einen geringeren Programmieraufwand, da ein reduzierter Quellcode genutzt werden kann, und auf Nutzerseite für ein benutzerfreundlicheres Erlebnis, indem Inhalte kompakt und lesbar gehalten werden sowie kürzere Ladezeiten entstehen.

Zudem geht es bei der mobilen Optimierung natürlich auch ganz allgemein darum, mehr Nutzer abzuholen und die Reichweite zu steigern. Die mobile Internetnutzung hat die Desktop-Nutzung längst überholt und um diesem Trend gerecht zu werden, wird die neue Gewichtung auf Mobile First nicht zuletzt von den großen Tech-Giganten immer weiter vorangetrieben. So werden die meisten Suchanfragen in immer mehr Ländern mobil getätigt, was Google bereits 2016 dazu veranlasste, die Mobile Friendliness zum Rankingfaktor hinzuzuziehen.

2021 hat Google vollends auf das sogenannte Mobile First Indexing (MFI) umgestellt. Das bedeutet, dass reine Desktop-Seiten nicht mehr für organische Rankings bewertet werden und im Gegenzug Mobilseiten primär indexiert werden, die für die Berechnung des Rankings entscheidend sind. Bei der Umstellung zu MFI ging Google dabei sogar so weit, dass Websites, bei denen zu große Unterschiede zwischen der Mobile- und Desktop-Version erkannt wurden – seien es fehlende interne Links, hohe Ladezeiten oder zu kleine Elemente –, mit Negativpunkten abgestraft wurden.

Eine Frage hinsichtlich Desktop oder Mobile erübrigt sich somit, wenn man sich Google und seine Regeln zur Suchmaschinenoptimierung (SEO) vergegenwärtigt. Für Entwickler bedeutet dies aber nicht, dass der Mobile-First-Ansatz immer der richtige oder zielführendere Ansatz ist. Nur weil Mobilgeräte mittlerweile primär im Alltag genutzt werden, heißt dies nicht, dass jedes Produkt oder jeder Service primär mobil Verwendung findet. Gerade Enterprise-Anwendungen oder -Portale werden häufig gewollt für Desktop-Screens entwickelt. Es kommt bei den eingehenden Überlegungen also genauso auf die anvisierte Zielgruppe und deren gestellte Erwartungen und Bedürfnisse an.

Gleichzeitig sollte Mobile First nie Mobile Only bedeuten, ansonsten gleicht die umgekehrte Portierung hin zum Desktop in seiner Unfertigkeit denen der ersten Smartphone-Generationen. Studien der Nielsen Norman Group zeigen auf, dass speziell für Mobilgeräte entwickelte Websites mit einer erheblich schlechteren Benutzererfahrung aufwarten, wenn sie auf einem Desktop bzw. größeren Bildschirmen aufgerufen werden.

 

Flexibilität als Muss – Viele Ansätze, aber kein Blueprint

Allein auf Grundlage der immer weiterwachsenden Anzahl an Mobile Devices ist der Mobile-First-Ansatz absolut legitim und kann vielen Unternehmen dabei helfen, sich besser zu platzieren und schneller ihre Reichweite zu erhöhen. Vor allem aber hält sich Mobile First an das Prinzip weniger ist mehr und ist somit in seinem Grundgedanken nahezu deckungsgleich mit dem responsiven Ansatz des Atomic Designs und dem Prinzip des Progressive Enhancements, bei denen der Fokus in der Designkonzeption zunächst ebenso auf die kleinsten Elemente und somit auf die wichtigsten Inhalte und Funktionen im Sinne der Nutzererfahrung gelegt wird.

Für die Nutzer selbst wird es jedoch immer normaler, flexibler und ohne Hindernisse von einem Gerät zum anderen und somit von einer Bildschirmgröße zur nächsten zu springen. So kann eine User-Journey heutzutage schon eine Vielzahl an Endgeräten beinhalten: startend mit einer Bestellung am Desktop, gefolgt von der Bestätigung des Zahlverfahrens über die Smartwatch und dem Erhalt der Auftragsbestätigung auf dem Smartphone. Daher wird es, unabhängig von Desktop oder Mobile First, weiterhin ausschlaggebend sein, wie ein konsistentes Erlebnis im Sinne der Benutzererfahrung über alle Kanäle hinweg und somit auch geräteunabhängig optimal gestaltet werden kann. Dabei werden auch Funktionsschnitte nach Device-Größen und Eingabemöglichkeiten, die ergonomisch angebracht sind, immer wichtiger. Es reicht also nicht, dass je nach Device die Inhalte korrekt dargestellt und an die Bildschirmauflösung angepasst werden. Bei der Gestaltung muss auch auf die unterschiedliche Bedienbarkeit der Geräte, die Visualisierung und die Nutzergewohnheiten geachtet werden.

Veränderung ist das Gesetz des Lebens, und wer nur auf die Vergangenheit oder die Gegenwart schaut, wird die Zukunft verpassen. John F. Kennedy

Welcher Ansatz oder welche Kombination an Design- und Entwicklungs-Ansätzen sich schlussendlich als am zielführendsten erweisen könnte, hängt deshalb immer von der User-Journey ab, die das Produkt durchläuft, und von den Endgeräten, die hierbei zum Einsatz kommen. Um bei der Gestaltung digitaler Services und Produkte die bestmögliche User Experience zu erreichen, kommt somit Niemand darum herum, zunächst mit dem Nutzer, dessen Bedürfnissen und dem gesamten Nutzungskontext zu starten. Nutzer wollen schließlich Produkte, die so intuitiv wie nur möglich gesteuert werden können und ihnen einen wahrhaften Mehrwert bringen. One-size-fits-all-Lösungen oder schlichte Portierungen verfehlen hierbei nahezu ausnahmslos ihren Zweck. Gerade beim UX-Design muss der Startpunkt deshalb immer auch Customer First oder, im Sinne des User Centered Design (UCD), User First lauten. Denn ohne einen ganzheitlichen Ansatz, bei dem jeglicher Berührungspunkt durchdacht, validiert und unter Einbeziehung der Unternehmens- und Nutzerziele hinterfragt wird, sollte es wenig überraschend sein, wenn aus den meisten Ansätzen schnell ein Everything-Else-Lasts verkommt.

 

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Quellen:

t3n.de/news

t3n.de/magazin

konversionskraft.de

smashingmagazine.com

praxistipps.chip.de

nngroup.com

 

Eigene verlinkte Artikel:

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An den Nutzer & Kontext angepasst – eine Retrospektive hin zum Responsive Webdesign und darüber hinaus

Zielgruppen:

Von Zielgruppen und Personas – Wege zum besseren Nutzerverständnis

UCD:

Design-Evolution – Der Wandel von User Centered Design zu Life Centered Design

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UX:

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