Nutzer ohne Privatsphäre – Zwischen Datensammler und Generationskonflikt
Rege Onlinepräsenz, sei es nun eher in der Beobachterrolle oder aktiv partizipierend, ist in unserer digitalen Gesellschaft längst ein wesentlicher Bestandteil unseres Lebens. Dank Smartphones sowie diverser Gadgets kann jeder Einzelne zu jeder Zeit und von jedem Standort aus auf digitale Informationen zugreifen und in eine virtuelle Welt abtauchen, die immer weiter mit der physischen verschmilzt. Wer digital nicht mitläuft, wird schnell sozial abgehängt und zu einer Art Außenseiter – ein Rebell, der sich der Teilhabe an einer vorangeschrittenen, modernen Gesellschaft entzieht.
Anzutreffen ist dieses Rebellentum fast nur noch bei älteren Mitmenschen. Wobei es weniger mit einer Nichtteilhabe zu tun hat, da heute selbst bei den über 70-jährigen um die 80 Prozent das Internet regelmäßig nutzen. Der Verbleib in der analogen Welt ist vielmehr getrieben von der allgemeinen Skepsis gegenüber dieser neuen Zeit, den Gefahren, die im Digitalen lauern, und dem notwendigen Lernaufwand, um dieses „Digitale“ überhaupt verstehen zu können. Doch verstehen die jüngeren Generationen tatsächlich, was sie da tagtäglich klicken, lesen, streamen und teilen?
Beim Thema Privatsphäre im digitalen Kontext werden schnell alle gleichermaßen hellhörig. Kein Wunder, wenn gefühlt zu jedem zweiten Neumond Leaks veröffentlicht werden oder sich die nächste Social-Media-Plattform für den lockeren Umgang mit Nutzerdaten rechtfertigen muss. Hinterfragt wird das Ganze trotzdem nicht sonderlich. Digital sein bedeutet Freiheit, bedeutet unendliche Möglichkeiten, bedeutet Teilnahme. Das Preisgeben der eigenen Daten und Interessen scheint hierfür ein geringer Preis. Aber stimmt dies wirklich? Und wofür werden diese Daten überhaupt gebraucht?
Verbesserung der Mensch-Maschine-Interaktion durch Web Analytics-Dienste
Auch wenn bei einigen auf Grund fehlender Expertise oder geringer Datenqualität noch Nachholbedarf besteht, gibt es deutschlandweit im Prinzip kaum noch ein Unternehmen, welches nicht in irgendeiner Weise auf Tracking-Dienste wie Google Analytics setzt. Diese Analyse-Dienste erlauben es Unternehmen, die Bewegung seiner Nutzer z. B. auf einer Website zu analysieren. Die technischen Daten, die hierbei aufgezeichnet werden, können Aufschluss darüber geben, wie oft eine Website aufgerufen wurde, welche Unterseiten besonders oft besucht werden und wie gut die Verlinkungen zwischen den einzelnen Seiten funktioniert.
Diese Daten haben einen vielfältigen Nutzen, wenn es um User Experience Design und das gesamte Engineering einer Anwendung geht. Über die objektiven Daten kann das Nutzungsverhalten besser verstanden und Rückschlüsse auf die Bedienbarkeit des Services oder Produkts gemacht werden. Dies bedeutet, dass mögliche Funktionsprobleme hinsichtlich der Usability schneller aufgedeckt werden und somit die Mensch-Maschine-Interaktion zwischen Service und Nutzer besser optimiert werden können. Gerade die Bedienoberfläche kann so für den Nutzer einfacher und intuitiver gestaltet werden.
Problematisch wird es jedoch, wenn zu diesen Interaktionsdaten auch weitere Daten erhoben werden. Wer auf Social-Media-Plattformen seine Adresse hinterlegt oder in den gängigen Webshops einkauft, ermöglicht den Anbietern oft zusätzlich weitere Daten wie Kontaktinformationen, Finanzinformationen oder demografische und sozioökonomische Daten zu erheben. Mit diesen personenbezogenen Daten kann dann ein umfassendes Persönlichkeitsprofil erstellt werden – der sogenannte gläserne Kunde.
Verwendung von Big Data im Marketing und der Informationsweitergabe
Mit welchen Daten man die diversen Analyse-Tools füttert war dabei in der Vergangenheit für viele recht einfach zu beantworten – je mehr desto besser. Dass es verständlicherweise aber in erster Linie um die Qualität der Daten geht, mussten vor allem Wahlanalysten in den letzten Jahren, wenn man so will, auf die harte Tour erfahren. Fakt ist jedoch, dass Daten die wichtigste Währung der digitalen Welt darstellen. Allen sollte deshalb bewusst werden, dass es kostenlose digitale Leistung nur in einem romantisierten Kontext fernab der Wirklichkeit gibt. Dass diese Datengewinnung im Hintergrund verläuft und somit für den Nutzer höchst intransparent erfolgt, macht es umso schwieriger, den Wert der eigenen Daten in irgendeiner Weise selbst einzuschätzen.
Für Unternehmen haben die in Big Data enthaltenen Informationen vielfältige Nutzungsmöglichkeiten. So dienen die Daten als strategische Ressource, mit der Geschäftsrisiken gesenkt, die Effizienz gesteigert und Produkte schneller an die Bedürfnisse der Kunden angepasst werden können. Die Massen an tagtäglich gesammelter Daten und die immer ausgefeiltere, automatisierte Erstellung von Persönlichkeitsprofilen im digitalen Raum werfen aber immer mehr Fragen auf, ob es sich hierbei schlussendlich um eine Win-Win-Situation für Anbieter und Nutzer handelt oder ob sich die Nutzer zwangsläufig auf der Loser-Seite wiederfinden.
Win-Win deshalb, da z. B. personalisierte Werbung, wie sie uns im Internet begegnet, Vorteile für Unternehmen und Konsument bietet. Wenn der Anbieter weiß, dass die Werbung auch jemanden erreicht, der sich tatsächlich für sein Produkt interessiert, und der Kunde zuvorderst mit der Werbung beschallt wird, die seinen aktuellen Interessengebieten entsprechen, sollte eine beidseitige Zufriedenheit herrschen. Man kann dies aber auch als gezielte Manipulation des Nutzers verstehen, der durch die ihm präsentierten Angebote in seiner Entscheidung beeinflusst werden soll. Zudem bedeutet Interesse nicht gleich Kaufinteresse. Wer nach einem Kajak googelt, da er in diesem Zusammenhang gerade eine Quiz-Frage gehört hat, will schließlich nicht zwangsläufig ein Kajak kaufen – auch wenn er die folgenden Tage beim Surfen mit Werbebannern und Angeboten hierzu überhäuft wird.
Das größere Problem besteht in diesem Zusammenhang aber in der Verbreitung von Informationsangeboten. Das Sprichwort Zeit ist Geld war dabei noch nie so erlebbar wie in diesen digitalen Zeiten. Jeder will der Erste sein, der eine Nachricht verbreitet, genauso wie jeder der Erste sein will, der die Nachricht erfährt. Journalisten, Nachrichtenplattformen von Tech-Giganten und Social Media streiten gleichermaßen über die Informationsweitergabe sowie darüber, wer der Schnellste ist. Und schneller als KI-Systeme, die in Echtzeit Big Data weltweit auswerten können, ist niemand. In Zeiten von Fake News und in einer Welt, in der der Newsfeed genauso personalisiert ausgespielt wird wie die Werbung, birgt dies unweigerlich die Gefahr, dass Menschen nur noch das zu sehen bekommen, was sie vermeintlich interessiert, und unbewusst in eine Richtung gedrängt werden, die anstatt Informationen Ideologien vermittelt.
Generationsübergreifendes Lernen in der digitalen Welt
Das Schützen der eigenen Daten und der Privatsphäre in dieser digitalen Welt ist bei all der Datensammlung gesetzlich schwer zu gestalten und viele der bislang auferlegten Regularien sorgen sogar eher dafür, dass diese neue Welt noch undurchdringbarer wird. Positiv hervorzuheben ist, dass in einer Studie von Deloitte 96 Prozent der befragten deutschen Unternehmen angaben, die Verantwortung für den Schutz der Kundendaten wahrzunehmen. Es geht aber nicht nur darum, was schlussendlich mit den Daten gemacht wird, sondern darum, dass die Nutzer zunächst auch bestmöglich über die Datensammlung und die Art der Daten vorab informiert werden. Das Verweisen auf die Selbstregulation der Nutzer und der gleichzeitige Ruf nach einer digitalen Ethik kann schließlich nur dann Wahrheit in sich tragen, wenn den Nutzern auch alle notwendigen Angaben zur Verfügung stehen, um eine informierte Entscheidung zu treffen. Dies bezieht sich auch auf das Einsehen und selbstständige Editieren oder Löschen der eigenen Daten.
Gleichzeitig müssen die Nutzer auch ein höheres Bewusstsein dafür entwickeln, wo und welche Daten sie veröffentlichen. Dass die jüngeren Generationen, die mit digitalen Technologien aufgewachsen sind, eine gewisse Sorglosigkeit beim Umgang mit ihren Daten und der eigenen Privatsphäre an den Tag legen, ist natürlich verständlich. Eine Onlinepräsenz ist schlichtweg Pflicht und vernetzt zu sein bedeutet, sich dem sozialen Leben in seiner Gänze, sowohl physisch als auch virtuell, anzuschließen. Diese soziale Verbundenheit spielt für die meisten eine wichtigere Rolle als die Privatsphäre. Nichtsdestotrotz sieht man auch bei jüngeren Menschen, dass sie mit der Zeit herausfinden, welche Informationen und Daten in welchem Kontext geteilt oder nicht geteilt werden sollten. Auch in der digitalen Welt darf man schließlich aus Fehlern lernen und neue Verhaltensmuster entwickeln, um die eigene Privatsphäre besser zu schützen sowie zu organisieren.
Die neuesten Generationen sind in der Hinsicht „Digital Natives“, da sie in die Welt der Computer und Smartphones hineingeboren wurden. Aber sie beherrschen deswegen noch lange nicht von Geburt an den Umgang mit diesen digitalen Technologien – laut JIM-Studie geht die Fähigkeit, mit einem Computer umzugehen, sogar kontinuierlich zurück. Es heißt schlicht, dass sie im Gegensatz zur Generation 60+ keine Berührungsängste in die Wiege gelegt bekommen hat. In einer mediengeprägten Welt geht es daher vor allem darum, Medien- und Digitalkompetenzen zu entwickeln. Nicht nur zu verstehen, wie man etwas bedient, sondern wie dieses „Digitale“ funktioniert, was hinter Begrifflichkeiten wie Algorithmus steckt und welche Auswirkungen die Technologie auf die Welt sowie die Gesellschaft hat. Dazu gehört auch der Umgang mit den eigenen Daten und den eigenen Rechten.
Jede Generation hat dabei ihre eigenen Erfahrungen gemacht, die ihr Weltbild prägten. Die Generation 30+ ist beim Thema Digitalisierung und dem Umgang mit neuen Technologien viel sensibler, da sie den digitalen Wandel eingeleitet hat. Wenn wir also informierte Entscheidungen darüber treffen wollen, wie wir mit dieser digitalen Welt umgehen, mit ihr leben und sie nach unseren Vorstellungen gestalten, muss ein generationsübergreifender Wissensaustausch und Diskurs wieder neu belebt werden. Denn die Digitalisierung wird fortschreiten und mit ihr werden weitere Möglichkeiten und Gefahren entstehen. Inwieweit wir diese Möglichkeiten nutzen und die Gefahren umschiffen, liegt in den Händen von uns – Entwickler, Anbieter und Nutzer –, da wir alle, ob nun hineingeboren oder nicht, Teil dieser neuen Welt sind.
________
Quellen:
https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/0340-0425-2018-4-551.pdf?download_full_pdf=1
https://eplus.uni-salzburg.at/JKM/content/titleinfo/3680311/full.pdf
https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s00287-020-01275-2.pdf
https://ieeexplore.ieee.org/stamp/stamp.jsp?tp=&arnumber=8436400
https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-31563-4_33
https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/76412
https://www.channelpartner.de/a/datenschutz-neu-denken,3544183,2
https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2020/JIM-Studie-2020_Web_final.pdf