Wie die digitale Decke durchbrochen werden kann – Der Weg in die digitale Reife

Veröffentlicht am 25. January 2023

Sabrina Spee

„Wir müssen mehr in Digitalisierung investieren“ oder „Es braucht eine Digitalstrategie“ – Aussagen, die seit Jahren weltweit und über Branchen hinweg verteilt in Unternehmen zu hören sind.

Der Begriff „Digitale Transformation“ hat sich scheinbar allerorts in den Sprachgebrauch eingebürgert, wenngleich weiterhin wenig Konsens darüber herrscht, was er eigentlich bedeutet. Während einige Unternehmen darunter den Einsatz neuester Spitzentechnologien verstehen, um den aktuellen Betrieb weiterzuentwickeln, und viele bereits digitale Technologien im Marketingbereich zur Verbesserung aktueller Systeme und Prozesse nutzen, fehlt es vielen noch an klaren Roadmaps und Ansätzen, wie diese neuen Technologien in Geschäftsstrategien in die Unternehmenskultur miteingebunden werden können. Dies hat meist weniger mit einer vorherrschenden Zurückhaltung zu tun als mit der digitalen Reife einer Organisation.

Moderne digitale Technologien wie Social Media, Mobile und Analytics schreiten schließlich immer schneller voran und werden von Verbrauchern und Arbeitnehmern gleichermaßen genutzt – mehr als sechs Milliarden im Umlauf befindliche Mobiltelefone sprechen hierbei ihre eigene Sprache. Transformationsprozesse werden spätestens dann in Gang gesetzt, wenn Mitarbeiter in ihren eigenen vier Wänden über bessere digitale Lösungen verfügen als bei ihrem Arbeitgeber oder der technologische Fortschritt der Kunden den des service-/produktanbietenden Unternehmens übersteigt. Doch allzu oft wird Erfolg als Umsetzung definiert, nicht als Wirkung. Die Einführung neuer Technologien stellt daher einen Anfangspunkt des Wandels dar. Aber die Hauptfrage sollte sich eher darum drehen, wie diese sowohl für die Geschäftsprozesse als auch für Mitarbeiter und Kunden einen nachhaltigen Mehrwert bieten können.

„The electric light did not come from the continuous improvement of candles.“ Oren Harari, business professor at the University of San Francisco

Phasen der digitalen Transformation – Eine Standortbestimmung

Die digitale Transformation definiert neu, wie ein Unternehmen Technologie, Prozesse und Mitarbeiter einsetzt, um innovative Umsatzmodelle und Einnahmequellen zu schaffen.

Diese sollen gleichzeitig Antworten auf sich stetig ändernde Benutzererwartungen liefern. Ein kürzlich erschienener Bericht des Weltwirtschaftsforums prognostiziert hierzu, dass die digitale Transformation den Wert der Weltwirtschaft bis 2025 voraussichtlich um 100 Billionen US-Dollar steigern wird. Dabei wird es immer offensichtlicher, dass Unternehmen sich nicht mehr die Frage stellen sollten, ob sie Teil dieses Wandels werden, sondern, wie sie die Transformation gestalten müssen, um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben.

Das Verorten der Transformations-Phase des eigenen Unternehmens und die Messung des vorherrschenden digitalen Reifegrads ist hierbei der erste Schritt, um den Status quo besser zu verstehen und einen digitalen Fahrplan zur Verbesserung der Geschäftsprozesse zu erstellen. Dies bedeutet erst einmal auszuloten, inwiefern digitale Technologien bereits zum Einsatz kommen – sei es im Leistungsangebot oder in firmeninternen Prozessen. Es gilt herauszufinden, welche Kompetenzen vorhanden sind und vor allem, inwieweit die Unternehmenskultur sowie -strategie von digitalen Initiativen geprägt ist.

Die Phasen, in welchen sich ein Unternehmen hierbei bewegen kann, lassen sich unter anderem wie folgt darstellen:

    • Die Experimentierphase, in der hin und wieder Aktivitäten durchgeführt werden, welche die Transformation unterstützen. Die Durchführung ist dabei eher zufällig, da die digitale Transformation nicht als geschäftliche Notwendigkeit betrachtet wird und sich somit auch keine strategische Absicht hinter den Aktivitäten verbirgt.
    • Die Projektphase, in der gezielte Aktivitäten durchgeführt werden, welche die digitale Transformation unterstützen. Hierbei will die Organisation mitsamt der leitenden Personen die Transformation vorantreiben und startet erste strategische Initiativen. Die Bemühungen stecken jedoch noch in ihren Kinderschuhen, sind also unentwickelt, nicht automatisiert und weit weg davon, die gesamte Organisation zu durchdringen.
    • Die Transformationsphase, in der bereits zahlreiche Aktivitäten, die den digitalen Wandel unterstützen, erfolgreich implementiert wurden. Initiativen werden hier mit hoher strategischer Absicht und koordiniert durchgeführt. Die Auswirkungen der Transformationsbemühungen auf das Geschäft sind ersichtlich und werden auf allen Ebenen als ein zentrales organisatorisches Bedürfnis begriffen.
    • Die Optimierungsphase, in der im Prinzip alle Aktivitäten strategisch durchgeführt werden und vollständig rationalisiert, koordiniert und automatisiert sind. Organisationen, welche diese Phase erreicht haben, sind wahrhaftig digitalisiert und haben DX zu einem echten Bestandteil der Unternehmenskultur gemacht. Die bestehenden Systeme und Prozesse sind so optimiert, dass sie die schnelle Integration neu aufkommender Technologien erlauben und bieten somit auch eine notwendige organisatorische Agilität, um auf Markt- oder Technologieänderungen gezielt reagieren zu können.

 

Von der Intention zur Innovation – Design Thinking als Hilfsmodell

Die letzte Phase des digitalen Reifegrades haben bislang nur wenige Unternehmen erreicht, da hierfür auch ein klares Verständnis dafür vorhanden sein muss, dass Transformationsprozesse nie vollends abgeschlossen werden, sondern dauerhaft überprüft, optimiert und angepasst werden müssen. Die überwältigende Mehrheit scheitert weiterhin daran, die in den Wandel gesteckten Ziele zu erreichen oder einen tatsächlichen Business Value aus ihren Initiativen zu erzeugen. Nicht selten liegt dies daran, dass sich mehr damit beschäftigt wird, welche Tools und Technologien notwendig sind, um digital zu arbeiten, anstatt sich damit zu beschäftigen, was notwendig ist, um in der digitalen Welt erfolgreich zu arbeiten.

Digitale Transformation ist ein wichtiges strategisches Unterfangen und als solches muss die Intention hinter jeglicher unternehmerischer Bemühung auch mit etwas Greifbarem verbunden werden. Modelle zur Messung des Reifegrads sind dabei für Unternehmen ein erster Schritt, um die wesentlichen Faktoren, die bei der Digitalisierung eine Rolle spielen, besser zu verstehen, sowie die eigenen Stärken und Schwächen zu identifizieren. Die Beschäftigung mit der Digitalisierung und Investitionen in neue Technologien machen letztlich nur dann Sinn, wenn sich jeder darüber bewusst und gewillt ist, dass sich etwas ändern muss. Wenn hinter angeschobenen Initiativen nicht auch eine gemeinsame Vision und strategische Absicht steht, bleibt von den noch so hehren Intentionen nicht mehr viel übrig. Will die Investition von Erfolg gekürt sein, müssen sich Führungskräfte, Mitarbeiter und Stakeholder auch gegen initiale Widerstände gemeinsam als Team dazu verpflichten, den Innovationsprozess voranzutreiben und digitale Initiativen als festen Bestandteil im Unternehmen verankern.

Design Thinking als Ansatz zur Lösungsfindung kann dabei helfen, die Intentionen in die richtige Richtung zu lenken, Mitarbeiter mit ins Boot zu holen und den Blick auf das Gesamtbild zu schärfen. Vor allem deshalb, da die meisten Unternehmen an der Transformation scheitern, weil sie den Überblick darüber verlieren, was ihre Kunden von ihnen erwarten. Die iterative Methode wird bereits seit Jahrzehnten vor allem im Service Design und der User Experience genutzt, um kollaborativ über den Tellerrand hinauszublicken und in kurzen Sprints innovative Produkte sowie Services zu entwickeln, die den Nutzer in den Vordergrund stellen.

Neben diesem innewohnenden Nutzerfokus kann es Unternehmen aber vor allem dabei helfen, Innovationsbereiche frühzeitig zu identifizieren und mit Hilfe der Erstellung von Roadmaps die Transformation Schritt für Schritt voranzutreiben. Anstatt kopfüber ins Ungewisse zu stürzen und Lösungen ohne ersichtliches Problem zu entwickeln, wird der Wandel demnach übersichtlicher in kurzfristige Projekte aufgeteilt, die klarer auf die strategischen Absichten abgestimmt werden können. Die Transformationsreise kann sich so flexibel entfalten und die gemeinsame Vision wird gleichsam gestärkt, da die einzelnen Phasen schnell zu messbaren Ergebnissen führen.

 

Digitale Transformation als kontinuierlicher Prozess

Die digitale Welt mit all ihrer Schnelllebigkeit und aufkommenden disruptiven Geschäftsmodellen erfordert einen gewissen Mut zur Veränderung und Offenheit, um wettbewerbsfähig zu bleiben und mit Innovationen zu glänzen. Designbasiertes Denken kann hierbei Unternehmen einen auf Menschen ausgerichteten Ansatz liefern, der den Fokus auf das zu Erreichende schärft und allen Beteiligten einen gemeinsamen Rahmen zur Kommunikation bietet. Es ist aber sicherlich kein Allheilmittel, da Probleme natürlich auch durch die falsche Brille betrachtet werden können und viele Unternehmen trotz Design-Thinking-Ansätzen weiterhin Daten als wichtigsten Faktor ansehen, wenn es um Herausforderungen mit einem System oder Prozess geht, anstatt sich damit zu beschäftigen, wer das System nutzt oder wer in dem Prozess verankert ist.

Ein Wandel benötigt das Berücksichtigen unterschiedlicher Perspektiven auf dieselben Nutzer- und Geschäftsprobleme; das Abstimmen von Design- und Technologieanforderungen; sowie eine gesamtorganisatorische Zusammenarbeit, die neuen Denkweisen offen gegenübersteht. Deshalb ist es unabdingbar, dass Unternehmen einen iterativen und nutzen-/nutzerfokussierten Ansatz etablieren, bevor Digitalisierungsmodelle vorangetrieben werden. Dies sorgt auch dafür, dass klare Metriken einfacher festgelegt werden können und die Roadmap in einen Business Case überführt wird, der die Ziele der Transformationsstrategie mit wirtschaftlichen Zielen vereint.

Das Streben nach einer perfekten digitalen Reife sollte daher gerade bei noch am Anfang der Transformation stehenden Unternehmen nicht auf die Goldwaage gelegt werden. Es geht zunächst darum, die neuen Möglichkeiten im Kontext des eigenen Unternehmens zu verstehen und sich gleichzeitig bewusst zu machen, dass sich selbst diejenigen, welche die Optimierungsphase erreicht haben und zu den Vorreitern zählen, jeden Tag aufs Neue mit veränderten Bedingungen sowie neuen Technologien auseinandersetzen müssen. Somit befindet sich ein Unternehmen, das den Schritt wagt, in einem ständigen Zustand der digitalen Transformation. Der Weg ist das Ziel – jeden Tag einen Schritt weiter auf dem Weg zur digitalen Reife.

„Wenn die digitale Transformation richtig gemacht wird, wird aus einer Raupe ein Schmetterling. Wird sie aber falsch gemacht, ist alles, was man hat, eine wirklich schnelle Raupe.“ George Westerman, MIT Sloan Initiative für digitale Wirtschaft

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