Analoge Nostalgie und natürliches Design im Digitalen – Wird die digitale Welt analoger?

Veröffentlicht am 16. June 2023

Sabrina Spee

Die Technik entwickelt sich mit solch einem Tempo fort, dass sich nicht wenige fragen, inwieweit nicht nur Unternehmen damit schritthalten sollen, sondern inwiefern ganz allgemein die Gesellschaft und der Mensch an sich hierbei noch den Durchblick behalten. Wie viel Einfluss haben wir auf all die digitalen Errungenschaften, die immer weiter in jeglichen Lebensbereich eindringen? Und gibt es ein Zurück?

Ein Zurück zu Vergangenem, zumeist unterspült von einer gewissen Romantisierung, liegt dem Menschen schließlich irgendwie im Blut, was auch anhand wachsender Trends im Rahmen des technologischen Wandels ersichtlich wird, die eine klare Rückwendung zu dem zeigen, was vor der digitalen Revolution der Status quo war. So generiert die Musikindustrie zwar seit knapp 15 Jahren ihren Hauptumsatz über kommerzielle Streaming-Plattformen, jedoch verzehnfachten sich über den gleichen Zeitraum allein in Deutschland auch die Verkaufszahlen von analogen Schallplatten und Abspielgeräten.

Ein Phänomen, das ebenso bei Film und Fotografie zu beobachten ist. Während digitale Kameras zu Beginn des neuen Jahrtausends den Markt überschwemmten, wird nunmehr die vormals totgesagte Entwicklung von Analogfilmen vorangetrieben, da immer mehr Filmschaffende, Fotografen und Hobbyisten auf die Ästhetik und Arbeit mit dem Althergebrachten schwören. Es scheint vielen Menschen schlicht ein Bedürfnis zu sein, einen Ausgleich in Form eines haptischen Erlebens zu der voranschreitenden Digitalisierung zu finden.

War demnach Analog die vergangenen zwei Jahrzehnte nur deshalb außer Mode, da das Digitale eben neu war und über uns alle wie eine unaufhaltsame Lawine hereinbrach? Oder steht das Analoge schlichtweg eher für das Abbild unserer realen, haptischen Lebenswelt, das wir einfacher verstehen und durchdringen können als das Digitale? Das Digitale ist virtuell, abstrakt, zum Teil unsichtbar und schwer (be-)greifbar. Die Menschen möchten ein digitales Produkt aber sehen, fühlen und erleben können – genau so, wie sie es von ihren analogen Pendants gewohnt sind. Wenn es um das Designen eines mehrwertigen Nutzererlebnis geht, ist es deshalb wenig verwunderlich, dass die vorherrschenden Gestaltungsansätze darauf schließen lassen, dass von Beginn an versucht wurde, unsere analoge Welt mit all unseren gesammelten Erfahrungen in das Digitale zu übersetzen.

 

Realitätskonformität – Die Nachahmung des Analogen im digitalen Design

Bereits zu den Anfangszeiten der Softwareentwicklung wurde den Pionieren bewusst, dass die Arbeit über ein User Interface nur dann gelingen kann, wenn die Funktionen nicht zu abstrakt, sondern wenn möglich mit Hilfe eines realen, aus der analogen Welt bekannten Gegenstücks dargestellt werden. Das sich aus der Architektur entwickelnde Konzept des Skeuomorphismus, bei dem reale Gegenstände und Materialien in das Digitale überführt und nachgebildet werden, etablierte sich somit schnell als eine gängige Gestaltungstechnik, die das Vorwissen der Nutzer und deren Erwartungshaltungen in das Design miteinbezog. Die Benutzeroberfläche des ersten Macintosh enthielt daher bereits skeuomorphe Symbole, die Teils heute noch Verwendung finden. So z. B. der Papierkorb zum Löschen von Dateien, die als Zettel dargestellt wurden und in Ordnern lagerten, die tatsächlich wie Aktenordner aussahen. Selbst die Floppy-Disk findet sich heutzutage noch als Icon, obwohl die neuen Generationen dieses alte Speichermedium wahrscheinlich gar nicht mehr kennen.

Die Blütezeit des Skeuomorphismus startete derweil mit dem Übergang zu mobilen Touchscreens in den späten 2000er Jahren und wurde ebenfalls von Apple vorangetrieben. Damit die Benutzer sich schneller zurechtfinden und die neue Art der Steuerung annehmen, verbargen sich die Anwendungen hinter anklickbaren Schaltflächen, die als direkt identifizierbare Symbole dargestellt wurden wie ein Kameraobjektiv oder ein gelber Notizblock. Die Applikationen selbst mimten dabei zudem meistens ihr analoges Pendant nach. So glich der digitale Notizblock tatsächlich in seiner Darstellung einem physischen Notizblock und verschiedene analoge Kamerafunktionen wurden in das digitale Medium überspielt wie ein Klickgeräusch beim Drücken des Auslösers.

Da sich die Nutzer durch den Siegeszug der mobilen Gadgets aber vergleichsweise schnell an die Touchscreens und deren Navigation gewöhnten sowie eine Gefahr des Überrealismus erkannt wurde, indem die dargestellten Elemente falsche Assoziationen oder Gefühle hervorrufen konnten, startete Apple 2013 eine Ära des weniger ist mehr mit seinem Flat Design. Anstatt nach mehr Realitätsnähe zu streben, die keinen weiteren Mehrwert bei der Informationsvermittlung versprach, wurden die bislang naturgetreuen Elemente durch zweidimensionale Formen und Buttons ersetzt, bei denen es mehr auf kontrastreiche Farbtöne denn auf Schatten oder Tiefe ankam. Vor allem vereinfachte das Flat Design auch den gestalterischen Prozess, da simple, flache Elemente natürlich weniger Zeit in Anspruch nehmen als detailreiche, realistische Elemente.

Kritiker begegneten dem neuen Gestaltungsansatz aber recht schnell mit einer gewissen Skepsis. So wird Flat Design nicht nur ein gewisser Mangel an Ästhetik nachgesagt, sondern vor allem eine Verschlechterung der Usability, auf die durch den eingesparten Aufwand eigentlich mehr Zeit zu investieren wäre. Laut Studien der Nielsen Norman Group zeigt sich zumindest, dass flach gestaltete Oberflächen den Nutzern oftmals Schwierigkeiten bereiten, da der eingesetzte Minimalismus zu wenig Hilfestellung leistet. Gerade wenn es um die Darstellung und Platzierung von Elementen und die Feedback-Gestaltung geht, müssen Designer hier für absolute Klarheit und Erwartungskonformität sorgen, damit die Nutzer sich schnell zurechtfinden und nicht nach klickbaren Elementen suchen oder deren Funktion erraten müssen.

In den aktuell nahezu jährlich neu aufkommenden Gestaltungsansätzen findet daher auch eine Art Rückwendung statt, indem die Schlichtheit des Flat Designs mit skeuomorphen Elementen kombiniert wird. So folgt der Neomorphismus dem minimalistischen Ansatz des Flat Designs, jedoch wird der Farbkontrast wieder zurückgeschraubt und die zuvor flachen Kacheln erhalten durch den Einsatz von Schatten und Licht eine aus dem Skeuomorphismus bekannte Haptik. Ziel ist es hierbei, durch den so entstehenden reliefartigen 3D-Look eine moderne und cleane Benutzeroberfläche zu gestalten, die von den Nutzern einfach zu durchdringen ist und gleichzeitig mit einer im Flat Design oftmals vermissten Ästhetik aufwartet.

 

Gestalten im Web der Zukunft – In welche digitalen Welten vertrauen wir morgen?

Die Nachahmung der analogen Welt wird aber weiterhin nicht nur bei der Gestaltung bislang gängiger Technologien und User Interfaces eine Rolle spielen, sondern auch bei der Schaffung neuer digitaler, dreidimensionaler Erlebniswelten, die sich heute unter dem Sammelbegriff Metaverse oder auch Web 3.0 vereinen. Wenn es nach einigen der größten Tech-Konzerne geht, sollen hierbei die bisher eher aus der Gaming-Industrie bekannten virtuellen Welten immer mehr Einzug in den Alltag finden, indem sich Menschen innerhalb dieser virtuellen Realität nicht nur spielerisch messen, sondern auch gemeinsam Arbeiten, Sport treiben und Events besuchen, digitale Gegenstände oder gar Grundstücke erwerben und auch Geld verdienen können.

Dass diese Welten bislang und auch in naher Zukunft sehr skeuomorph sein werden und ein Abbild der Realität sowie der physischen Gesetze darstellen, liegt in der Natur der Sache. Die digitalen Avatare, die aktuell noch Zeichentrickfiguren ähneln, sollen alsbald nicht nur optisch echten Menschen ähneln, sondern auch vorrangig mittels Virtual-Reality-Brillen gesteuert werden, um für eine höhere Immersion zu sorgen und ultimativ die physische mit der realen Welt verschmelzen zu lassen. Es ist schlichtweg schwer vorstellbar, wie eine nicht-skeuomorphe virtuelle Welt überhaupt aussehen könnte und inwiefern diese von den Nutzern angenommen würde. Fakt ist zum jetzigen Zeitpunkt aber, dass das miteinander Interagieren und – im übertragenen Sinne – das physische Zusammensein im Fokus des Webs der Zukunft stehen.

Die Grenzen zwischen analoger und digitaler Welt werden so durch die erlebbaren dreidimensionale Welten, die neue Interaktionsmöglichkeiten bieten und über immer mehr Schnittstellen verfügen, mit großer Wahrscheinlichkeit nach und nach verschwimmen. Inwiefern die daraus resultierenden gesellschaftlichen Veränderungen und sich neu ausprägenden Muster auf sozialer, politischer und ökonomischer Ebene schlussendlich vergleichbar mit denen der bisherigen digitalen Transformation sein werden, steht hierbei noch in den Sternen. Für Designer wird sich dabei aber nicht nur die Frage stellen, wie diese Erlebnisse gestaltet werden müssen, damit sie sich richtig und natürlich anfühlen, sondern, wie das aus dem Analogen Bekannte und das im Digitalen bereits Etablierte genutzt werden kann, um beim Nutzer auch wahrhaftig Vertrauen in die neuen digitalen Welten zu schaffen.

 

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Quellen:

designers-inn.de

mittwald.de

faz.net

miletus.substack.com

digitaleweltmagazin.de

zukunftsinstitut.de

vorausschau.de

eco.de

t3n.de

 

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