Die Bedeutung von Usability und User Testing im Designprozess
Bei der Gestaltung eines Services oder Produktes gilt es, im Sinne einer optimalen User Experience die Nutzersicht einzunehmen – eine Sicht, die zumeist von Verhaltensmustern und angelernten Gewohnheiten geprägt ist und nach Erwartungskonformität sowie Konsistenz verlangt. UX-Designer stehen daher immer wieder aufs Neue vor der Herausforderung, die Erwartungen und Anforderungen der Endbenutzer so einzuschätzen, dass die tatsächlichen Wünsche und Bedürfnisse ebenjener Nutzer auch erfüllt werden.
Das entscheidende Qualitätsmerkmal im UX-Kontext bildet hierbei die sogenannte Usability bzw. Benutzerfreundlichkeit, die durch folgende fünf Kernkomponenten definiert wird:
- Erlernbarkeit: Wie einfach findet sich der Nutzer beim ersten Kontakt mit der Anwendung zurecht und kann Aufgaben erledigen?
- Effizienz: Wie schnell und genau kann der Nutzer Aufgaben ausführen und erledigen?
- Einprägsamkeit: Wie leicht fällt dem Nutzer die Bedienung, wenn er nach einiger Zeit wieder zurück zur Anwendung kehrt?
- Fehler: Wie viele und welche Fehler unterlaufen dem Nutzer und wie einfach kann er unter Mithilfe der Anwendung Fehler beheben?
- Zufriedenheit: Wie ansprechend, interessant und angenehm wird die Benutzeroberfläche wahrgenommen?
Usability is about people and how they understand and use things, not about technology.
Die Usability bezieht sich demnach auf die Funktionalität einer Anwendung oder eines Systems und stellt in den Fokus, wie einfach die aufgesetzten Benutzerschnittstellen zu bedienen sind. Dass es für die Bewertung der Usability und das Inkludieren aller Anforderungen der Endbenutzer ratsam ist, die Nutzer frühzeitig in den Entwicklungsprozess einzuspannen, um direkt und kontinuierlich Feedback einzusammeln, sollte hierbei klar sein. Doch wir wollen einen Blick auf den dahinterliegenden Prozess werfen und der Frage nachgehen, wie die Benutzerfreundlichkeit im Hier und Jetzt sowie in Zukunft vertestet und bewertet werden kann.
Usability Testing und/oder User Tests – Zwei (nicht ganz) gleiche Testverfahren
Um die Nutzerfreundlichkeit eines Services oder Produktes zu ermitteln, wird in der Regel nach dem agilen Framework des User Centered Design Process (UCDP) das Usability Testing als Forschungsmethodik verwendet. Hierbei werden zuvorderst die Bedienbarkeit und Funktionalität einer Anwendung aus Kundensicht getestet, wobei verschiedene Kriterien wie Aufbau, Design und auch Nutzerverhalten in die Evaluation miteinfließen. Und wenn das Kriterium Nutzerverhalten bei dem ein oder anderen nun für Stirnrunzeln sorgt, ist dies berechtigt und auch so gewollt. Denn für einige stellen die Verhaltensweisen und (emotionalen) Reaktionen eines Nutzers auf eine Anwendung keinen Teil des Usability Testings dar, sondern eines sogenannten User Tests bzw. Benutzertests.
Die Trennschärfe der beiden Begrifflichkeiten ist leider nur bedingt gegeben, was größtenteils daran liegt, dass die meisten den Begriff Usability Test synonym mit User Test verwenden. Viele sehen Usability Tests auch einfach als eine Unterart von User Tests, die schlicht den Oberbegriff von Benutzertests abbilden sollen, wogegen wiederum andere eine klare Trennung bevorzugen, indem Usability Tests rein auf die Funktionalität reduziert werden, während User Tests auf die Verhaltensweisen der Nutzer abzielen. Da Usability Tests die am weitesten verbreitete Form von Nutzertests abbilden und wir der Meinung sind, dass das Nutzerverhalten gerade im UX-Kontext bei jeglichem Test nicht ausgeblendet werden kann und sollte, werden wir daher im weiteren Verlauf des Artikels zur Vereinfachung nur noch von Usability Tests sprechen.
Schlussendlich wird jeglicher Test von Nutzern durchgeführt, die den Designern neue Erkenntnisse und Lösungsansätze liefern sollen. Denn bei den gestaltenden Personen herrscht – ähnlich wie auch bei dem Schreiben eines Textes – früher oder später eine gewisse aus einer steigenden Vertrautheit mit der Anwendung geborene Blindheit, die es mehr und mehr erschwert, Usability-Probleme aufzudecken. Um diesen unvermeidlichen Schleier zu lichten, sind echte Nutzer bzw. Erstnutzer daher Gold wert. Verstehen diese nicht, wie die Anwendung genutzt werden kann oder wie Aktionen ausgeführt werden können, ist schließlich weder eine ordnungsgemäße Funktionstauglichkeit als auch eine positive Nutzererfahrung gegeben.
Durchführung von Usability Tests – Das Aufdecken von Stärken und Schwächen im Design
Usability Tests sollen dabei helfen, Probleme sowie ungenutzte Möglichkeiten im Design zu entdecken und mehr über die Nutzer, deren Wünsche und Bedürfnisse zu erfahren. Die Testing-Phase geht hierbei immer Hand in Hand mit der Prototypisierungs-Phase, denn die Nutzer müssen schließlich auch etwas vor sich haben, das sie sehen oder mit dem sie interagieren können. Als Prototyp können hierfür zwar bereits konzeptionelle Wireframes in verschiedenen Detailgraden zur Vertestung herhalten, jedoch erfordern sie auf Grund ihrer fehlenden oder nur teilweise bestehenden Funktionalität zumeist eine enorme Vorstellungskraft von Nutzerseite. Für aussagekräftige Testergebnisse hinsichtlich der Usability ist daher ein ausgefeilter Prototyp bzw. ein Digital Prototype, der interaktive und animierte Elemente bietet, vonnöten.
Optimalerweise sollte der Prototyp mit Hilfe von ersten Personas entwickelt worden sein, um die Bedürfnisse der Zielgruppen initial zu durchdringen und klare Ziele sowie Anforderungen zu formulieren. Diese erstellten archetypischen Nutzer stehen dabei in wechselseitiger Beziehung zu den kontinuierlichen Tests: zum einen helfen die Nutzertests, Personas für den weiteren Prozess zu schärfen, und zum anderen stellen die Personas gleichwohl eine valide Grundlage für die Auswahl der Testpersonen und somit der echten Nutzer dar. Dabei sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Ergebnisse eines Tests nicht nur durch unterschiedliche Probanden, die z. B. über verschiedene Vorerfahrungen mit ähnlichen Anwendungen verfügen, Abweichungen aufzeigen können, sondern auch durch den gewählten Umgebungskontext. Der Ort der Durchführung des Tests (entweder im Labor oder im Feld und somit vor Ort beim Anwender) sollte deshalb immer überlegt gewählt werden, da z. B. Lichtverhältnisse, Geräuschkulisse, der Abstand zum ausgebenden Gerät oder gar das Wohlbefinden der Person je nach Umgebung variieren können.
Die Anzahl der Testpersonen richtet sich dabei an der gewählten Methode aus. Geht es um eine qualitative Erhebung, bei der herausgefunden werden soll, wie die Nutzer auf die Anwendung reagieren, was sie brauchen, denken und wie das Produkt optimiert werden kann, reichen kleine Nutzergruppen von fünf bis zehn Teilnehmern aus. Quantitative Usability Tests können hingegen eine Vielzahl an Testern umschließen. Mit ihnen werden Kennzahlen und Daten erfasst, die klar messbar sind; wie z. B. die benötigte Zeit für eine Aufgabe, Funnel-Analyse, Benchmarking oder Abbruchzahlen. Eine Kombination beider Methoden ist daher ratsam, wobei die qualitative Erhebung in der Frühphase zu einem klareren Nutzerverständnis führt und quantitative Methoden dank verfügbarer Analyse- und Tracking-Tools das Produkt oder den Service einfacher über den gesamten Lebenszyklus begleiten können.
Zudem muss entschieden werden, ob die Tests moderiert oder unmoderiert durchgeführt werden sollten. Bei unmoderierten Tests sind die Nutzer auf sich allein gestellt und erhalten in der Regel ein Skript bzw. Briefing sowie die zu testende Anwendung. Ihr Vorgehen und ihre Gedanken dokumentieren sie zumeist selbstständig oder ihre Aktionen werden aufgezeichnet. Eine moderierte Befragung hat hingegen den Vorteil, dass der Proband Nachfragen stellen kann oder ihm Anweisungen gegeben werden können. Hier führt ein Moderator den Probanden in die Anwendung ein und begleitet ihn durch den Test, wodurch Verhaltensweisen nicht nur besser beobachtet, sondern auch hinterfragt werden können. Die moderierte Version verspricht hierdurch bessere Ergebnisse hinsichtlich des Nutzerverständnis, ist aber durch das Abstellen eines Moderators zeit- und kostenaufwändiger als die unmoderierte Variante.
Usability testing helps us to uncover problems, discover opportunities, and learn about users.
Ein Usability Test könnte demnach wie folgt aussehen: Ein Prototyp soll im Feld getestet werden. Hierfür trifft sich ein Designer, der als Moderator fungiert, mit einer Testperson in einem natürlichen Szenario, z. B. bei einer Verkehrsapp am Bahnhof. In einem offenen Gespräch weist der Moderator den Probanden in die Testbedingungen ein, bittet ihn, laut zu denken (Think-aloud-Methode) und stellt ihm eine erste bzw. umfassende Aufgabe. Während des Tests beobachtet der Moderator das Nutzungsverhalten und gleicht die Handlungen mit dem Gesagten ab, da hier häufiger denn nicht bereits Diskrepanzen auffallen – Taten sagen schließlich mehr als tausend Worte; und nur weil ein Nutzer meint, etwas zu verstehen, heißt dies nicht automatisch, dass er es tatsächlich versteht. Ein kleiner Nudge hier und da, um den Nutzer wieder in die Spur zu führen oder seinen Blick auf eine spezifische Aufgabe zu lenken, ist dabei natürlich erlaubt. Bei der Durchführung versucht der Moderator so, die Ziele, die Motivation und das Verhalten des Probanden zu verstehen sowie Probleme festzustellen oder favorisierte Inhalte zu erfassen. Die Beendigung des Tests leitet den Feedback-Austausch ein, indem der Moderator Folgefragen stellen kann und der Teilnehmer seine Erfahrung mit der Anwendung abermals widerspiegelt.
Usability Tests der Zukunft – Wie neue Technologien die Forschungsmethode bereichern
Fortschrittliche Entwicklungen und Technologien im Zuge der Digitalisierung erweitern nach und nach den zur Verfügung stehenden Werkzeugkasten bei der Durchführung von Usability Tests und bieten bereits jetzt vielfältige Möglichkeiten zur Verfeinerung der angewandten Methodiken. Gerade im Bereich der quantitativen Datenerhebung erleichtern immer mehr Tools – dank Maschinellem Lernen (ML) in Kombination mit ausgefeilterer Künstliche Intelligenz (KI) – die Automatisierung verschiedener Testprozesse rund um Mustererkennung, Datenerfassung und -analyse.
Maschinen sind schlichtweg besser im Sammeln, Kategorisieren und Analysieren von großen Datenmengen, in denen Gemeinsamkeiten und Muster aufgedeckt sowie Auffälligkeiten herausgestellt werden können. Jegliche Form von internen sowie externen Informationsquellen können so schnell verarbeitet und direkt in die Entwicklung neuer bzw. optimierter Prototypen, Personas oder Fragebögen gesteckt werden, wodurch nicht nur Zeit und Kosten gespart werden, sondern auch die Entscheidungsfindung gestärkt wird.
Gleichzeitig erblicken auch mehr und mehr neuartige Methoden das Licht der Welt, wie z. B. das sogenannte Eye Tracking. Hierdurch kann der Blickverlauf des Probanden präzise nachvollzogen und gemessen werden. Fragen wie „Welches Element zieht initial die Aufmerksamkeit auf sich?“, „Wohin wandert der Blick beim Start einer Aufgabe?“ oder auch „Scannt die Testperson Texte nur oder nimmt sie sich beim Lesen Zeit?“ können somit nicht nur klarer beantwortet werden, sondern liefern auch vormals verborgene Erkenntnisse hinsichtlich des Nutzerverhaltens.
Zudem erlaubt der zunehmende Einsatz von Virtual und Augmented Reality (VR/AR) die Kontrolle über den Umgebungskontext. Anstatt im Feld zu testen, was logischerweise mit einem gewissen Mehraufwand einhergeht, können Nutzer so auch im Labor in verschiedenste virtuelle Umgebungen versetzt werden, um eine nahezu realistische Benutzererfahrung zu simulieren. Die Technologie steckt zwar auf mehreren Ebenen noch in ihren Kinderschuhen und wartet mit ihren ganz eigenen Herausforderungen hinsichtlich UX- und UI-Design auf, jedoch birgt sie ein großes Potenzial, wenn es um das Durchdringen des Nutzungskontext geht. Welches Potenzial hingegen Biometric Data und Emotion Analysis bieten, mit denen u. a. Gesichtsausdrücke oder die Herzfrequenz analysiert werden können, steht noch in den Sternen. User Experience hat immer auch mit Emotion zu tun. Inwiefern Emotionen jedoch mit Daten zu erfassen sind, wird sich noch zeigen müssen und stellt aktuell eher eine philosophische Frage dar – wir sind gespannt, ob dies so bleibt.
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Quellen:
Eigene verlinkte Artikel:
Wireframing
Agile Entwicklung – Warum Wireframing heute anders gedacht wird
Prototyp
Prototyping für eine bessere User Experience
Personas
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Zielgruppen
Von Zielgruppen und Personas – Wege zum besseren Nutzerverständnis
Nudge
Nudge: Kleiner Anstoß – Große Wirkung
KI
Künstliche Intelligenz im Design – Die Auswirkungen von KI auf Gestaltungsprozesse
VR/AR
Augmented und Virtual Reality – Neue Realitäten erfordern neue Problemlösungen