Digitales Handwerk – Empathie und Menschenkenntnis im User Experience Design

Veröffentlicht am 06. April 2023

Nina Hanselmann

Empathie wird nicht erst seit gestern als eine Kernkompetenz angesehen, die eng mit dem Erfolg im Privat- und Berufsleben zusammenhängt. Basierend auf Faktoren wie Emotionen, Wahrnehmung und Menschenkenntnis hilft sie dabei, flexibel auf ein Individuum einzugehen, zwischen den Zeilen zu lesen sowie Motive und Gedanken abzuleiten und zu nutzen. Sie ist Bedingung dafür, dass wir uns in andere Personen hineinversetzen können, um auch auf oft unausgesprochene Bedürfnisse oder Wünsche Rücksicht zu nehmen.

In der User Experience sind Empathie und Menschenkenntnis alleine deshalb schon von großem Belang, da eine optimale Nutzererfahrung natürlich nur dann entstehen kann, wenn die Nutzer tatsächlich gehört und verstanden werden. Es geht darum, Emotionen zu wecken, Verhalten zu erkennen und die bewusste wie auch unbewusste Wahrnehmung der Nutzer vorurteilslos zu verstehen und zu lenken – sei es durch wiederkehrende Muster, das Hervorheben wichtiger Elemente oder eine erwartungskonforme Konsistenz.

Gleichzeitig gilt es, die nicht direkt greifbare, emotionale Erfahrbarkeit der UX abseits des Bildschirmes in allen Facetten zu durchdringen. Das digitale Handwerk eines UX-Experten dreht sich nämlich nicht nur um die Nutzer, sondern betrifft jegliche Beziehung, die während des Prozesses einer guten User Experience entsteht. Ein bedürfnisorientiertes Verständnis für Kunden, Nutzer und Teammitglieder ist daher essentiell, um flexible Handlungsspielräume zu eröffnen und gemeinsam zu betreten. Denn nur durch die Unterstützung und Zusammenarbeit aller involvierten Parteien lässt sich das Bild eines digitalen Services oder Produktes schärfen.

 

Empathie in der UX – Empfinden verstehen und Betrachtung fördern

Die User Experience dreht sich nicht nur um das Sammeln und Strukturieren von Daten in Form eines Konzeptes. Sie ist vielmehr eine Disziplin des unvoreingenommenen Verstehens, Interpretierens und Deutens, welche die gesamte Bandbreite an Interaktion der Endbenutzer mit einem Unternehmen samt den bereitgestellten Services und Produkten umfasst. Jeglicher Berührungspunkt zwischen Nutzer und Unternehmen muss durchdacht sein und erzeugt im Optimalfall ein positives Gefühl, das in die Gesamterfahrung einzahlt. Die Empathie hilft dabei, diese Gefühle und Emotionen besser zu verstehen – und zu erwecken.

Empathie sollte dabei aber nicht mit Sympathie gleichgestellt werden. Sympathie ist – wie auch Mitleid – vielmehr Teil der Empathie und selbst als Gefühl zu beschreiben, das aus konsistenter Empathie und Emotionalität entspringt. Sie ist kaum beeinflussbar und quasi ein Ist-Zustand, der sich bis hin zur Liebe beliebig vertiefen lässt. Eine Emotion, die dem Gegenüber empfunden wird. Im Gegensatz hierzu ist Empathie vielmehr eine Fähigkeit, die es erlaubt, Gefühle, Äußerungen und Bedürfnisse des Gegenübers nachvollziehen und spiegeln zu können. Eine hohe Empathiefähigkeit sollte daher nicht im Wege stehen, eine emotionale Distanz zu erhalten, sondern dazu beisteuern, dass reine Gefühlsmäßigkeiten nicht die Objektivität und ein faires Urteilsvermögen überlagern.

Emotions are how humans make sense of the reality around them. Instinctively, we tend to repeat positive experiences, because they make us feel good, and avoid negative ones. Our brains are wired to learn from negative experiences to keep us from repeating our mistakes. Steven Widen

Empathie als Fähigkeit ist somit zu einem gewissen Grad trainierbar, da es in der Regel trotz individueller Bedürfnisse und Ansichten Überschneidungen gibt, wenn es darum geht, ob ein Mensch etwas als positiv oder negativ empfindet. So will der Mensch von Natur aus mitgestalten und das Gefühl haben, Teil von etwas zu sein. Im Projektkontext ist das Schaffen von Zuständigkeiten und klaren Verantwortlichkeiten, um diese Teilhabe zu erzeugen, deshalb genauso wichtig für die involvierten Parteien wie die Schaffung von Transparenz, um alle in den Informationsfluss einzubinden und eine Vertrauensbasis herzustellen. Dies bedarf nicht nur strukturierter Arbeit, sondern auch flexiblem sowie bedürfnisorientiertem Handeln, um von vornherein richtig einschätzen zu können, was die Stakeholder überhaupt an Unterstützung für eine optimale Zusammenarbeit brauchen und wie ihnen diese bestmöglich gegeben werden kann.

Genauso geht es auch um die Einschätzung der Bedürfnisse und Wünsche der Nutzer und wie diese Vertrauen entwickeln können. Welches Maß an fordern und fördern ist gut? Und wie passt das mit den Kundenwünschen überein? UXler müssen sich bereits vor der Entwicklungsphase im Klaren sein, warum ein Produkt für die Nutzer überhaupt Mehrwert bietet, und die Nutzersicht einnehmen. Ein Konzept sollte den Nutzer schließlich nicht überfordern, sondern befähigen und im Optimalfall den Alltag erleichtern. Leicht erlernbare Features, direktes Feedback und ein konsistentes Design stellen deshalb die Grundbausteine dar, um den Nutzern ein Gefühl der Sicherheit und Vertrautheit zu vermitteln.

Damit dies über alle Ebenen hinweg gelingt, interpretiert der UX-Experte sozusagen über die Kundenmembran die Nutzerbedürfnisse und versucht, die verschiedenen Sichtweisen greifbarer und verständlicher zu machen. Um hierbei nicht als Allwissender oder zu bevormundend aufzutreten, gilt es oftmals einen Drahtseilakt zu vollführen, indem durch kleine Anstöße (Nudges) Optionen aufgezeigt werden, die ohne minimale Intervention gar nicht wahrgenommen oder in Betracht gezogen werden würden. Das subtile Positionieren und Nutzen dieser Nudges erfordert gleichwohl ein gewisses Maß an emotionaler Intelligenz und Reflektionsfähigkeit, da sie ein hohes Verständnis dafür voraussetzen, wie die unterschiedlichen Perspektiven und Interessen sowohl aus Kunden- als auch aus Nutzersicht gehört, vereint und in eine für alle Seiten funktionierende Lösung gewandelt werden können. Sie sind somit Teil der empathischen Fähigkeiten eines geübten UX-Experten und ein wirksames Mittel, um im UX Prozesse im Sinne der Nutzer anzustoßen und die Entscheidungsfindung zu vereinfachen.

 

Die Rolle des UX-Experten – Empathie auf allen Ebenen

Eine gute Menschenkenntnis und ein klares Bewusstsein für das Selbst, die eigenen Verhaltensweisen und die Emotionen des Gegenübers sind mitentscheidend, um alle Stakeholder bestmöglich zu befähigen und jegliche im Prozess verankerte Beziehung zu pflegen. Das bewusste Nutzen oder Zurückhalten der Emotionalität ist dabei ein essentieller Faktor, der genauso wie das Abwägen der Machbarkeiten im Projektkontext auf Erfahrung beruht und im Alltag praktiziert wird.

Stets geht es darum, Aufgaben und Rollen zu verteilen, Zuständigkeiten zu respektieren sowie jegliche Meinung zu hören und in Überlegungen miteinfließen zu lassen. Dies bedingt auch das Abwägen, ob Aufwand und Nutzen sich aufheben oder an welchen Stellen eventuell iterativ gearbeitet werden sollte, um ein Ziel in Etappen zu erreichen. Dabei gilt es auf Teamebene die Kapazitäten optimal zu nutzen und Talente wie auch Eigenschaften zu erkennen und zu fördern, die der Zielerreichung dienlich sind. Eine empathische Führung, die eine emotional basierte Motivation der Mitarbeitenden hervorruft, kann die Produktivität hierbei nachweislich steigern und fördert ganz allgemein den Teamzusammenhalt sowie das Vertrauen untereinander.

Gleichzeitig helfen Empathie und Menschenkenntnis unter anderem Meinungen und Aussagen von Nutzern, etwa bei Nutzertests, zu interpretieren und Wünsche sowie Erwartungen in eine Konzeptstruktur zu übersetzen. Wissen über Interaktionsprinzipien und bekanntes Nutzerverhalten bzw. mentale Modelle und wie diese anzuwenden sind, geben dem UXler dabei frühzeitig Ansatzpunkte, um bspw. die Erlernbarkeit oder auch den Wohlfühlfaktor (Likeability) einer Plattform direkt zu erhöhen. Dies steigert nicht nur die Produktivität, sondern spart auch einiges an Zeit, da viele grundlegende Verhaltensmuster bereits erforscht und etabliert sind.

Users are not always logical, at least not on the surface. To be a great designer you need to look a little deeper into how people think and act. Paul Boag

Gerade im digitalen Bereich, der in seiner Komplexität nur schwerlich zu durchdringen ist und nach Aufklärung verlangt, müssen UX-Verantwortliche unvoreingenommen in die Kommunikation gehen und Anforderungen für alle Beteiligten greifbarer machen. Empathie und Menschenkenntnis sind deshalb absolute Konstanten, die jeden UX-Experten tagtäglich in seinem Arbeitsalltag begleiten. Je mehr Verantwortung die einzunehmende Rolle verlangt, desto wichtiger wird es dabei, diese Empathie zu nutzen, um ein Projekt voranzubringen. Klare Zuständigkeiten und eine gelebte Feedback-Kultur helfen deshalb auch jedem Experten, sich selbst besser zu reflektieren, die eigene Rolle zu definieren und eigene Emotionen zielgerichtet zu kontrollieren und schlussendlich für das zu gestaltende Nutzererlebnis einzusetzen. Denn UX lebt von der Emotionalität und davon, wie der Nutzer sich bei der Verwendung eines Produktes oder Services fühlt.

 

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Quellen:

weka-manager-ce.de

forbes.com

netnode.ch

digicomp.ch

nngroup.com

 

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